: Independence Days in Oldenburg
■ Beim 8. Filmfestival gab es erstaunlich wenig Pleiten und Pannen. Die Kinderkrankheiten sind überwunden, die Stärke des Festivals, nämlich die guten Kontakte zum US-Independent-Film, kommen voll zur Geltung
Eigentlich war es ja ideales Kinowetter! Aber weil ein Filmfestival auch außerhalb der Kinosäle gefeiert wird, war die Stimmung etwas gedämpft, denn man wurde auf den Wegen zwischen Casablanca, Wall Kino und Kulturetage von viel nassem Wind durch Oldenburg gepustet.
Dafür scheinen im achten Jahr einige Kinderkrankheiten des Festivals überwunden zu sein. Ärgern muss man sich zwar immer noch über das Programmheft, in dem jeder Film so übertrieben, inhaltslos und möchtegern-cool angepriesen wird, dass man ihn nicht einmal wiedererkennt, wenn man den Text nach dem Sehen nochmal liest. Aber das Chaos, die ausgefallenen Filme, die vielen Veränderungen in letzter Minute sind spürbar weniger geworden, und auch bei der Filmauswahl hatte Festivalchef und Gründer Torsten Neumann diesmal ein glücklicheres Händchen als sonst.
Der Eröffnungsfilm „Mondscheintarif“ war zwar eine oberflächlich–überflüssige deutsche Beziehungskomödie, aber das hat hier schon Tradition. Dafür war nur einer der Filme in der „Independent Reihe“ ein ärgerlicher Flop: In „Fast Sofa“ rannte die Split Screen Technik völlig sinnfrei Amok, während sich die Geschichte auf den Kalauer „der eine mag Vögel und der andere vögeln“ reduzieren lässt. Regisseurin Salomé Breziner hatte vor einigen Jahren schon einen Film in Oldenburg gezeigt – das reichte offensichtlich als Empfehlung.
Der Vorteil dieser persönlichen Bindungen des Oldenburger Filmfestes ist aber andererseits, dass die Independent-Filmer überm Teich gerne ihre Filme hierher schicken, und so gab es viele Entdeckungen zu machen, wobei auch die „Internationale Reihe“ im Grunde fast nur Filme von unabhängigen Filmemachern zeigte.
Herausragend waren zwei von Frauen inszenierte Spielfilme, in denen jeweils in dogmaähnlichem Stil ein soziales Umfeld so realis-tisch, authentisch und emphatisch porträtiert wurde, dass jede Einstellung und jede Geste der Schauspieler wahrhaftig wirkte. In „Falling like This“ erzählt Dani Minnick die uralte Geschichte von der unglücklichen Liebe der behüteten Schönen und dem wilden Rebellen; in „Margarita Happy Hour“ folgt die Kamera der jungen Mutter Zelda, deren Leben durch das Kind viel anstrengender und prosaischer geworden ist, die Höhepunkte ihres Lebens sind inzwischen die wöchentlichen Treffen mit ihren Freundinnen, die immer im gleichen Cafe in Brooklyn ihren „Margarita“ trinken.
Die Kamera scheint einfach mit dabei zu sein, nichts wirkt forciert, die Schauspieler scheinen nie zu schauspielern:dies ist großes, kleines Kino.
Es gab auch wieder extrem merkwürdige Filme mit hohem Kult-Quotienten wie das Science-Fiction-Musical „The American Astronaut“ mit Heimwerker-Special-Effekten, einem völlig absurden Plot und Space- Cowboy-Songs.
Mit „Secret Glory“ zeigte der britische Horrorfilmer (im Rahmen seiner Werkschau) einen auch sti- listisch überzeugenden Dokumentarfilm über den Esoteriker Otto Rahn, der den heiligen Gral suchte und dann als SS-Obersturmführer endete.
Der intensivste, gewagteste, zugleich schönste und hässlichste Film war schließlich „Requiem for an Dream“, in dem Darran Aro-nofsky (der schon mit „Pi“ überraschte) die Drogenkarrieren einer Mutter und ihres Sohnes so hautnah zeigt, dass man oft nicht mehr hinsehen mag und am Schluß wirklich um diese Menschen trauert.
Der Star des Festivals war eindeutig der Schauspielerveteran Ben Gazzara, der überall zu sehen war, und sich offensichtlich über diese Ehrung freute.
Mit drei Filmen war der „Tribute“ an ihn aber leider ein wenig mager und die Auswahl der Filme war mit zwei Nebenwerken und „The Killing of a Chinese Bookie“ zumindest zweifelhaft. „Saint Jack“ hätte hier unbedingt gezeigt werden müssen, denn auf diesen Film bezog sich Gazzara immer wieder in den Gesprächen und Interviews.
Zu John Cassavetes hat er dagegen ein gespaltenes Verhältnis: „Wir waren nie Freunde, sondern eher Konkurrenten, die sich ständig gegenseitig beschnüffelt haben. Aber jetzt, nach seinem Tode, werde ich ständig nur auf ihn angesprochen. Was ich auch mache, ich bin durch den Film „Husbands“ auf ewig mit ihm verbunden. Manchmal schau ich nach oben, droh ihm mit der Faust und sage: John, lass mich endlich mal in Ruhe!“
Übrigens schlug auch der rasend schnelle Untergang des Münchner Filmeverleihers „Kinowelt“ seine Wogen bis zum Filmfestival Oldenburg. Die Deutschlandpremiere ihres Films „Knockaround Guys“ musste ausfallen, weil man bei dem Verleih inzwischen die 260 Mark Portokosten für das Paket mit den Filmrollen nicht mehr aufbringen konnte.
Wilfried Hippen
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