: Draußen in Mitte
Schlachten die auch Tiere? Eine Ausstellung in der Hellersdorfer Fußgängerzone
Der Weg zur Kunst ist schwierig. Keiner weiß Bescheid, nicht mal die Hellersdorfer, die auf Fragen nach gesuchten Straßen meist nur mit der Schulter zuckten. Wege und Galerien in den Innenstadtbezirken sind kein Problem, was aber hat man schon in Hellersdorf zu suchen?
Genau hier setzte die Idee der Friedrichshainer Galerie Expo 3000 an: 30 junge Künstler nutzten für ein Wochenende zwölf leer stehende Räume in der City-Meile Hellersdorf. Die Einkaufsfußgängerzone hat es schwer, seit um die Ecke die „Helle Mitte“ aus dem Boden gestampft wurde. In der nach amerikanischem Vorbild entstandenen riesigen Shopping- und Erlebniswelt ist kein Platz für kreative Räume. Aber so was mögen Hellersdorfer. Kunst dagegen nicht – nur zwei Klischees über die Bewohner der Plattenbauten, die manchen Kreuzberger oder Friedrichshainer so exotisch anmuten wie Menschen aus Lagos, der größten nigerianischen Stadt. Kunstfreunde aus Mitte etc. verirrten sich übrigens kaum nach Hellersdorf.
„LAGOS“ war wahrscheinlich das erste Kunstexperiment dieser Art: Künstler mussten ihre klischeehaften Vorstellungen über den gemeinen Hellersdorfer aufgeben. Und auch die Gastgeber revidierten schon im Vorfeld ihre Bedenken gegenüber junger Kunst. „Schlachten die auch Tiere?“, wurde Expo-3000-Galerist Spunk Seipel besorgt von Mitorganisatoren vor Ort gefragt. Haben sie nicht.
Dafür malte der Franzose Matthieu Husser den U-Bahn-Verlauf von Friedrichshain nach Hellersdorf auf eine Wand und zeigte, wie nah sich beide Stadtbezirke eigentlich sind. Neben dem Wandbild mixten DJs Experimentelles, Hellersdorfer Kids verwandelten deshalb die ehemaligen Bankfiliale in einen Jugendklub. Ein paar Meter weiter hielten Bernd Fux und Christian Schmidt-Chemnitzer ein Happening ab, grillten Bratwurst, betrieben eine Bar, verteilten Luftballons von CDU und PDS, klebten Kunst via Abrisskalender an die Wände, ließen eine Spieldose dudeln. „Restkunst“, lacht Schmidt-Chemnitzer, der damit auch Feldforschung betrieb. „Wo sind die Glatzen? Wir haben keine gesehen!“ Wenigstens eine schaute bei Martina Minette Dreier vorbei. Der junge Mann interessierte sich für ihre Hundeporträts in Öl. Dabei war nicht mal ein Kampfhund dabei. Vielleicht kaufte er deshalb kein Bild. Die 10-jährige Janine hat dafür eine Zeichnung ergattert, weil sie Frank Sanderink für ein Porträt Modell stand. Nikos Kalaitzis porträtierte immer wieder anders zwölfmal ein und dieselbe Person mit Blei- und Aquarellstift.
„So was kann ich auch malen“, meinten Hellersdorfer, die mit Kunst scheinbar nur Rahmen, Öl und naturalistisches Motiv verbinden. Wie sie wohl die Arbeiten von Gisela Wrede fanden? Sie beschriftete Monopoly-Geldscheine mit Zen-Weisheiten: „Es ist offensichtlich, und somit ist es schwer zu sehen.“ Das könnte auch für die gezeigte Kunst gelten. Gisela Wrede diskutierte mit vielen Hellersdorfern, was Kunst ist, und ob man sich „so was“ ins Wohnzimmer hängen würde.
ANDREAS HERGETH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen