herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über den deutschen Fußball

Gijon und seine Folgen

Die Süddeutsche erinnerte neulich daran, wie Helmut Kohl 1990 nach dem Ausscheiden der englischen Nationalmanschaft im WM-Halbfinale gegen Deutschland leicht höhnisch bedauerte, dass man die Briten ausgerechnet in ihrem Nationalsport geschlagen habe, worauf Maggi Thatcher zurückgegiftet haben soll: „Richten Sie ihm aus, dass wir die Deutschen in diesem Jahrhundert schon zweimal in ihrem Nationalsport geschlagen haben.“ Eine treffliche Bemerkung, zu der überdies ganz gut passt, dass die 5:1-Klatsche, die jüngst die britischen Fußballer an den deutschen Gurkentrupplern exekutierten, ausgerechnet an einem 1. September passierte. Also exakt an jenem Tag, an dem sich die Deutschen anno 39 zum zweiten Mal daran machten, die angepeilte Weltmeisterschaft in ihrer Nationalsportart noch gründlicher als beim ersten Mal zu vergeigen.

So gesehen hätten sich Beckham, Owen und Co kaum einen symbolträchtigeren Termin aussuchen können, um die selbstgefällige, obschon seit Jahren durch nichts mehr zu rechtfertigende Arroganz der Fußballdeutschen zu brechen und ihre Großmäuligkeit derart grandios zu stopfen, wie ihnen dies mit ihren fünf herrlichen Dingern gelang. Und überhaupt: Das war sie endlich. Die längst fällige Rache für Gijon. Gemeint ist natürlich jenes skandalöse Vorrunden-Geschiebe 1982 in Spanien, als sich Deutschland und Österreich gegen die aussichtsreichen Algerier verbündeten und in einem beispiel-, man könnte auch sagen: ballspiellosen Kick gegenseitig ins WM-Achtelfinale hievten.

Für dieses dreiste Fußballverbrechen haben inzwischen die Österreicher mit ihrer sagenhaften Schlappe gegen die Faröer-Inseln gebührend gebüßt. Der deutsche Frevel hingegen drohte ungesühnt zu bleiben, obwohl kein Länderspiel seitdem verging, bei dem ich zumindest nicht inständig darauf hoffte, dass eine deutsche Auswahl angemessen abgestraft würde; es wollte jedoch keinem ihrer Gegner recht gelingen.

Im Gegenteil. Dank ihres zwar effektiven, aber völlig entseelten Klopperstils, den man als deutsche Fußballtugend zu verklären sich angewöhnte, ergaunerten sich Deutschlands Fußballnationale nach Gijon Erfolg um Erfolg. Eher Fußball rackernd als spielend, tricksten sie sich durch alle Turniere. Dazu half ihnen ihr zuweilen unanständig anmutendes Glück. Nach den Vizeweltmeisterschaften von 1982 und 1986 (wo sie, so es im Viertelfinale eine Gerechtigkeit und kein Elferschießen gegeben hätte, schon gegen Mexiko hätten ausscheiden müssen), wurden sie 1990 sogar Weltmeister. Tumbe Handwerker wie Dieter Eilts oder eitle Aufschneider wie Lothar Matthäus reüssierten zu Weltstars, Beckenbauer rief die ewige deutsche Unbesiegbarkeit aus und ein aufgeheizter teutonischer Mob raste „Sieg“ skandierend durch die Gegend. Ich aber litt mehr denn je an Gijon, und das inzwischen wie ein Hund.

Erst das so wunderbar lässige 2:0 der Dänen im EM-Finale von Stockholm brachte eine leichte Linderung. Als dann ’94 die Bulgaren Deutschland im Viertelfinale abschossen, war ich so weit wieder gesundet, dass ich diese fabelhafte Hinrichtung angemessen zelebrieren konnte: schreiend nämlich vor Freude und mich vor Vergnügen minutenlang vor dem Fernseher herumwälzend. Die Feierlichkeiten nach dem 0:3 vier Jahre darauf gegen Kroatien gerieten noch um einiges ausrastender; meine Frau schämt sich vor der Nachbarschaft noch heute dafür.

Niemals aber war die Genugtuung so vollkommen wie jetzt nach Englands fünffachem Triumph. In stiller Heiterkeit habe ich den genossen; so still man eben ist in der zuversichtlichen Erwartung eines womöglich noch größeren Desasters, das den deutschen Bolzern hoffentlich blüht: ein zweiter Platz bloß in der Qualifikation und die versiebte Relegation. Dann aber werde ich Gijon abhaken. Versprochen. Ich bin ja nicht nachtragend.

Fotohinweis:Fritz Tietz, 42, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.