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„My Song is ageless and perfect“

Die Theorie des Remix, die Poesie des Jazz und die Praxis des Clubs: „Trüby Trio“ und Ursula Rucker sind heute Abend im Mojo Club zu Gast  ■ Von Roger Behrens

Der oft unerträgliche Schmerz, der sich in unsere Biografie einschreibt: Die Unvereinbarkeit von Wunsch und Wirklichkeit, die Differenz zwischen Denken und Handeln gehört zu den Grunderfahrungen, auf denen basiert, was wir Kultur nennen. Mit den Begriffen von Theorie und Praxis, die Aristoteles einführte, wurde dieses Miss-verhältnis philosophisch benennbar, aber keineswegs menschlich lösbar. Seitdem scheinen die Unternehmungen des Menschen auch darauf gerichtet, diese Kluft zu überwinden, um in dieser Überwindung den kleinen zerbrechlichen Kristall namens Glück zu finden. Das treibt die Hoffnung, das ist die Lust an der Liebe, beseelt die Künste und insbesondere die Musik: Dass Theorie und Praxis sich einmal versöhnen, ist die Grundtonart jeder Melodie.

So sehr im 20. Jahrhundert diese Melodie als Requiem erklang, so sehr entfaltete sich auch eine Idee von Kultur, dieser Hoffnung den Ausdruck von Leichtigkeit und Lebensfreude zu verleihen: die Spielarten des Hedonismus, des Pop. Das ist der Grund für die Wiederkehr der Moden, insbesondere der sommerlichen, tanzbaren, erotischen. Heute sind das die Varianten von House und Latin; in der Praxis heißt das neuerdings Club Jazz, die Theorie bleibt die altbewährte des Remix.

Das Trüby Trio – Rainer Trüby, Christian Prommer und Roland Appel – sind die Experten solcher tönernen Hoffnung; ihre Tracks „Donaueschingen“, „A Go Go“, „Carajillo“, „Alegre“ oder „Galicia“ gehören mittlerweile zu jedem Set späturbaner Club-Culture, ihre Redefinition von Nu Jazz hat Maßstäbe gesetzt, zum Beispiel bei dem Mixalbum in der DJ-Kicks-Reihe, das sie bis zu minimalistischen Housebeats führen, immer sommerlich durch Samba- und Bossa-Rhythmen verziert. Das Geheimnis dieser kulturellen Vermittlungsstrategie von Remix-Theorie und Club-Praxis heißt – auch bereits seit antiken Tagen – Poesie, die bildende, schöpferische Dichtkunst. Also auch Erbschaft, Eingedenken und der Versuch, dem Schmerz noch Genuss abzugewinnen, nämlich die Poesie der Freude. Das ist keineswegs Subjektivistisch beschränkt, auch wenn an der Poesie das Eigenbrödlerische haftet. Im Ernstfall meint das nach einer Redensart „talking Jazz“: aus der Poesie eine Form musikalischen Erzählens zu machen und selbst noch im beiläufigen Gelegenheitsgespräch eine Sprache der Liebe zu finden. Im Jazz ist dieses „Reden“ seit jeher die musikalische Semantik; spätestens seit den Last Poets oder Gil Scott Heron auch im Sinne der politisch-praktischen Sprache zur Vermittlung von radikaler Theorie.

Diese Tradition ist bei Ursula Rucker Diktion und Duktus; dazu tritt die feministische Stimme, die die Linie von Annette Peacock weiterspricht. „My Song is ageless and perfect ... My love is the only one you need“, heißt es in „Circe“, dem Song, den ein Jazzanova-Remix in hiesige Clubs brachte. Nun hat Rucker Supa Sister veröffentlicht, ein Hörbuch, ein musikalischer Gedichtband, ein politisch-feministisches Manifest, bei dem ihre Hip-Hop-Wurzeln ebenso zu hören sind wie zum Beispiel 4Hero. „Keep it simple“, sagt der Mann. „But I like it complex“, sagt Rucker, und „but the future is us“. Das ist programmatisch gemeint in jeder Hinsicht, ist Liebeserklärung und vermisste Zärtlichkeit, ebenso wie Anklage, etwa in „Song for Billy“ über die mehrfache Vergewaltigung einer jungen Frau.

Die in Philadelphia lebende Rucker definiert den Klang neu, der diese Stadt einmal im Namen von Philly-Sound berühmt gemacht hat. „There's a message in the music“, hatte Kenneth Gamble damals gesagt. Dass diese Botschaft auch ohne die süßen Streicherteppiche von einst nichts an Aktualität verloren hat, wird Ursula Rucker heute abend im Mojo Club mit der Unterstützung des Trüby Trios zeigen.

heute, 21 Uhr, Mojo

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