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Respektable Größen unterwegs

■ Jahrhunderte Bühnenerfahrung: Ein Teil der „Casa de la Trova“ beim Festival de Son in der Fabrik

„Auch wo nicht Buena Vista Social Club drauf steht, ist kubanische Musik drin“, sagt Antonio Martínez und spielt damit auf die Schwierigkeiten bei der Vermarktung weniger bekannter kubanischer Bands an. Und wer kennt hierzulande schon Félix Dima oder das Típico Oriental Cubano, die daheim in Santiago de Cuba Kultstatus genießen? Deshalb hat Martínez, Gründer des Labels endirecto, das kleine „Festival de Son“ aus der Taufe gehoben.

Zugpferd ist Caridad Hierrezuelo, deren Stimme nicht nur in Kuba mit jener von Celia Cruz verglichen wird. Lange hatte die Sonera aus dem Osten der Insel unter der Cruz zu leiden. „Celia hat alles dominiert, und es war schwierig, an Auftrittsmöglichkeiten zu kommen“, erinnert sich die 76-Jährige. Erst als besagte „Stimme Cubas“ 1959 nach Miami umzog, konnte sich Caridad entfalten. Beim Conjunto Caney und bei Rumbavana hat sie gesungen, mit Ibrahím Ferrer zahlreiche Duetts eingespielt und auch mit Los Van Van, Kubas erfolgreichster Salsa-Kapelle, stand die stimmgewaltige Sonera auf der Bühne. Ähnlich wie die alten Herren um Ry Cooder entschloss sie sich 1995 zu einem Comeback, gedrängt von ihrem jüngeren Bruder Reinaldo Hierrezuelo, Bandleader der Vieja Trova Santiaguera. Er arrangierte ohne ihr Wissen ihren ers-ten Auftritt und schleppte Caridad auf die Bühne. Auf einmal musste sie, die aus ihrer Stimme nie einen Beruf machen wollte, vor Publikum singen – ihr Bruder stand hinter der Bühne, um einen Rückzieher zu verhindern. Ein erfolgreiches Rezept, denn die „Guarachera del Oriente“ Caridad blieb dabei.

Über gut ein halbes Jahrhundert Bühnenerfahrung verfügen auch die Mitglieder von Típico Oriental, die zum Interieur in der Casa de la Trova in Santiago de Cuba gehören. Bandleader Rolando Romaguera ist beim legendären Benny Moré, dem Godfather of Son, in die Lehre gegangen. Bei ihm lernte der mittlerweile 76-jährige Romaguera alle Nuancen seiner Stimme zu nutzen und die Musiker aus der Reserve zu locken. Ihm zur Seite steht mit Isidro Sarría ein bekannter Komponist und Gitarrist der Insel, der rund einhundert Sons geschrieben hat.

Proposisón sind dagegen Newcomer und zum ersten Mal in Deutschland unterwegs. Die Band ging aus der Fusion einer A Capella-Gruppe und eines Sonquartetts hervor – welche kubanische Band hat schon einen fünfstimmigen Chor zu bieten? Der beschränkt sich nicht darauf, alte Gassenhauer nachzusingen. Das Repertoire stammt aus der Feder von Bandleader Miguel Aza und Evergreens sind Tabu. Man will das Publikum mit eigenen Stücken und Texten gewinnen – ein respektabler Ansatz. Respekt gebührt auch dem Stehgreifdichter Félix Dima, der, was immer er bemerkt, sogleich in die Texte seiner Lieder einfließen lässt. Er ist ein Repentista, so werden die genialen Improvisatoren in Kuba genannt, die sich auf die Bühne stellen und sich mit ihresgleichen im Improvisieren von Versen messen. Dima genießt jedoch nicht nur als solcher einen guten Ruf, sondern auch als Sonero, der sich allein mit seiner Gitarre auf die Bühne stellt und einen ganzen Saal zum Tanzen bringt. Ob ihm das auch in der Fabrik gelingt?

Knut Henkel

Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik

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