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Die „Märtyrer“

Palästinensische Selbstmordattentäter sind heute älter und gebildeter. Die Familie bekommt 5.000 Dollar

JERUSALEM taz ■ Jungfrauen warten auf den islamischen Selbstmörder, der sein Leben für die Verbreitung des Islam oder die Befreiung islamischen Gebietes opfert. Seite an Seite mit dem Propheten soll der „Märtyrer“ sitzen und Allah persönlich ins Antlitz schauen. Die attraktive Perspektive auf das „Leben nach dem Tod“ ist zweifellos Anreiz für muslimische Fundamentalisten, sich per Gewaltakt aus dieser Welt zu verabschieden. Dabei ist das zumeist keine Mission für Freiwillige. Die Kandidaten für ein Selbstmordattentat werden in der Regel von einem Religionsgelehrten rekrutiert.

Das Phänomen der Selbstmordattentate in Israel ist noch keine zehn Jahre alt. Dabei geht der Beginn der neuen Kampfform indirekt auf das Konto des damaligen Premierministers Jitzhak Rabin. Im Dezember 1992 wurden zwei israelische Soldaten entführt und ermordet. Rabin verwies daraufhin 415 Aktivisten der Hamas des Landes. Die Gruppe verharrte monatelang in einer Zeltstadt im Südlibanon, wo sich die Hisbullah ihrer annahm. Die sunnitischen Palästinenser hatten bis dahin eher wenig Kontakt zu den schiitischen Widerstandskämpfern, die sie fortan in die Methode der Selbstmordakte einwiesen.

Die radikalen Palästinenserorganisationen Hamas und Dschihad rekrutierten die Todeskandidaten aus den Reihen ihrer Schüler. Seit 1993 bis zum Beginn der Al-Aksa-Intifada waren die Täter mehrheitlich zwischen 17 und 21 Jahre alt und hatten noch keine Familie. Inzwischen trägt die „Propaganda in den Moscheen Früchte“, so der Terrorexperte Eli Kadmon. „Die Täter sind heute deutlich älter und zum Teil schon Familienväter. Allen gemein ist ihre strenge Religiosität, die demonstrative Zielorientiertheit und die Bereitschaft zur Selbstaufgabe. Boas Ganor von dem israelischen Institut für „Counter-Terrorism“ spricht in einem Interview mit der Tageszeitung Maariw von Jugendlichen, die aus sozioökonomisch niedrigen Schichten kommen und darauf hoffen, „mit ihrem Märtyrertum den Status der Familie zu verbessern“. Hamas und Dschihad zahlt den Angehörigen der Täter üblicherweise 5.000 US-Dollar. Dazu kommt das soziale Prestige. „Märtyrer“ werden in der palästinensischen Gesellschaft hoch geschätzt.

Im Unterschied zu den Attentaten, die in den ersten Jahren nach dem Osloer Abkommen von jugendlichen Palästinensern ohne besondere Schulbildung verübt wurden, sind jüngst immer mehr Studenten zum Selbstmord bereit. Nachman Tal, ehemals Angehöriger des israelischen Sicherheitsdienstes Schabak, erklärte vor Journalisten, dass „über die Hälfte der Hamas-Täter über eine akademische Ausbildung verfügten“. Motivation für die Täter sei die Überzeugung, dass der Tod besser ist als das Leben.

Der Psychologe Israel Orbach spricht von vier zentralen Antriebsmomenten, darunter Fatalismus, individuelles Leid und Perspektivlosigkeit, gesellschaftliche Isolation und Altruismus. Der Gedanke an die Selbstaufgabe für andere werde im Rahmen der Bewegung geschürt. Hintergrund sei immer eine klare Ideologie. Das veränderte Profil vom einst labilen und leicht zu manipulierenden Jugendlichen hin zum selbstbewussten und gebildeten Täter will Orbach nur zum Teil unterstützen. Seiner Ansicht nach, sind „alle Selbstmörder psychologisch problematisch“. Die tiefe Religiosität reiche, so Orbach, nicht aus. Die Täter brauchten eine „ungewöhnliche Fantasie“, um sich die „Begeisterung für sie nach ihrem Tod“ vorstellen zu können. Dazu komme Fanatismus, Wut und „in vielen Fällen Depressionen“. Scheich Achmad Schamni, spiritueller Führer des Dschihad, streitet indes ab, dass seine Kandidaten lebensunmutig sind: „Um ein heiliger Märtyrer zu werden, muss man leben wollen.“ SUSANNE KNAUL

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