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Treffpunkt für Musik und Tanz

Die Kultur zog ins World Trade Center ein, weil nach dem Bombenanschlag von 1993 lange Zeit viele Büroräume nicht vermietet werden konnten

von HARALD FRICKE

„Hundertmal habe ich gedacht: New York ist eine Katastrophe, aber fünfzigmal auch: Es ist eine wunderbare Katastrophe.“ Dieser Satz von Le Corbusier, dem Stararchitekten der Moderne, steht als Inschrift auf dem Boden im Battery Park, unweit des World Trade Centers. Der Park wurde mit der Erde angelegt, die zwischen 1972 und 1973 für den Bau des Doppelgebäudes ausgehoben werden musste.

Schon früh galt das World Trade Center für viele als abschreckender Klotz aus Glas und Beton. 1976 bereits schlugen Künstler vor, die nackten Fassaden mit großflächigen Bildern zu bemalen – Allan Wexler hatte sogar die Idee, das in den 30er-Jahren gebaute Empire State Building auf dieTürme zu projizieren, um die zwei Generationen von Wolkenkratzern einander gegenüberzustellen. Doch die ästhetischen Bemühungen änderten nichts an der Tatsache, dass die beiden Tower allein durch ihre Größe Aliens in der City von New York bleiben würden. Also holte man sich die Schönheit nach innen: Seit Ende der 90er-Jahre ist das Center mit großzügigen Plazaflächen im ersten Stockwerk ein Treffpunkt für Musik und Tanzperformances gewesen, wurden dort Theaterstücke gespielt und Vorträge gehalten. Verantwortlich dafür ist das Lower Manhattan Cultural Council, das sich um mehr Ansiedlung von Kultur in den Gebäuden bemühte. Die Situation dafür war günstig, weil nach dem Bombenanschlag von 1993 viele Räume im Center nicht vermietet werden konnten – die New York Times schätzte den Leerstand auch fünf Jahre danach noch auf über zehn Prozent.

„Windows of the World“

Das Kulturprogramm wurde extrem erfolgreich: Innerhalb von zwei Jahren kamen 170.000 Besucher, um sich die Kunst im World Trade Center anzuschauen. Die erste Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst, die von der New York Port Authority unterstützt wurde, fand im April 1998 statt. Zugleich gab es aber auch Aktivitäten aus dem kulturellen Off: Während tagsüber Touristen durch das Gebäude geleitet wurden, lief nachts im obersten Stock der Club „Windows of the World“ als Treffpunkt der New Yorker Boheme. 1999 waren hier Berliner Künstler, DJs und Clubbetreiber für einige Wochen zu Gast. In dieser Zeit wurde zusätzlich ein umfangreicher Künstleraustausch eingerichtet: An „World Views“ nahm im vergangenen Jahr zum Beispiel die Wiener Künstlergruppe „Gelatin“ teil, die ihr Atelier im 91. Stock hatte.

Letztes Jahr wurden 14 Stipendien vergeben. Weltweit. Denn das World Trade Center war längst nicht mehr Handelzszentrum allein, sondern ein Ort für kulturelle Aktivitäten – gerade wegen des Engagements für globale kulturelle Dialoge. So wurde dort am 10. August ein „Tibetanisches Fest“ in Erinnerung an 40 Jahre Exiltibet abgehalten, und bereits seit Juni gab es diverse Veranstaltungen beim „Festival of Creative Communities“, das sich um mehr kulturellen Austausch innerhalb der vielen ethnischen Gruppen von New York bemüht. Eines der Ziele dieses Programms war es unter anderem, die Kultur aus den ärmeren Teilen der Stadt in die Mitte zu holen.

Fest angesiedelt hat sich vor allem die African-American Community. Das „African Burial Ground“-Center ist mit seinem Archiv ins WTC eingezogen. Wie im Lincoln Arts Center sollte auch im World Trade Center ein starkes schwarzes Selbstbewusstsein repräsentiert werden: Zuletzt gab es am vergangenen Donnerstag einen Ballettabend mit HipHop als neue Form des Modern Dance, und übermorgen hätte das „Dance Theatre of Harlem“ auftreten sollen. Es ist eines der größten rassenübergreifenden Ballettensembles der Welt.

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