: Keine Nahaufnahme, bitte!
Freddy Quinn hat Deutschlands Nachkriegsmelancholie ein Gesicht gegeben. Lieder wie „Heimatlos“, „Du musst alles vergessen“ oder „Irgendwann gibt’s ein Wiedersehen“ hat er als Zeitspuren während der Wirtschaftswunderjahre hinterlassen. Am 27. September wird der Sänger, der ewige Seemann und Legionär, siebzig Jahre alt. Notizen von einer Begegnung am Rande einer ihm zu Ehren arrangierten Geburtstagsshow in Hamburg
von JAN FEDDERSEN
Man konnte gewarnt sein. Der Künstler möge Journalisten nicht, Fotografen am allerwenigsten. Und so sagt Freddy Quinn, kaum dass wir uns begrüßt haben: „Kommen Sie mir nicht mit dummen Fragen. Und keine Nahaufnahmen, bitte.“ Nein, ein Foto war ohnehin nicht eingeplant. Was sollte es dem Publikum auch berichten? Dass er immer noch so aussieht wie früher? Wie eh und je auf der Straße erkannt wird: „Guck mal, da ist doch Freddy!“ Und dabei mag er es nicht einmal, einfach nur Freddy genannt zu werden. „Herr Quinn, bitte!“, zischelt sein Manager.
Also, Herr Quinn, fühlt man sich wohl, einer der wichtigsten Sänger der Nachkriegszeit gewesen zu sein? „Ich schaue nie zurück“, erwidert Herr Quinn, „aber ich hatte Glück. Und manchmal gute Freunde.“ Wir sitzen im Schmidt’s Tivoli, einem alternativen Amüsiertheater auf St. Pauli. Dort wird eine Geburtstagsshow für ihn arrangiert, der NDR will es nicht so parfümiert-schlagerhaft wie das ZDF, lieber etwas mehr von Kneipenatmosphäre. Und das soll dem Freddy gefallen.
Der aber sagt, dass ihm St. Pauli am Arsch vorbeigeht, wobei er andere Worte wählt, aber eben dies meint: „Hier ist doch nur Dreck. Müll. Und Verbrechen.“ Wenn die Arbeit getan ist, ob nun heute für die NDR-Show oder früher im benachbarten Operettenhaus, „fahre ich zurück zu meiner Lebensgefährtin nach Duvenstedt“ – was auch gleich die Frage beantwortet, das legt Herr Quinns strenge Miene nahe, wie er denn privat so über die Runde komme. Natürlich, keine Nahaufnahme. Und deshalb keine Pikanterien aus einem Leben, das vielleicht nicht immer an der Seite einer Frau gelebt wurde.
Wie dem auch sei: War das denn früher besser mit St. Pauli, in den Fünfzigerjahren, als er in der „Washington-Bar“ die Nacht zum Tage machte und den Nachkriegsdeutschen auf der Gitarre vorspielte, Lieder aus fernen Ländern, versehen mit Geschichten von der Fremdenlegion, von Spelunken in Antwerpen und abgerissenen Tagen in Irland? Als er „nächtelang in Kneipen soff“ und von seinen Musikerkollegen aus Kneipen herausgeschleppt werden musste, um nicht die ganze Gage auf den Kopf zu hauen? Herr Quinn sagt: „Fragen Sie mich nicht zu Details meines Lebens, die hat mein Manager aufgeschrieben. Ich kann mich nicht an alles erinnern, dafür ist einfach zu viel gewesen.“
Aber wozu sollen wir den Herrn Triebcke fragen, den Mann, der gut Bescheid weiß über Goldene Schallplatten und andere Ehrungen, über Erfolge noch und nöcher? Der Manager zuckt nur mit den Schultern, als er gefragt wird, welche Version denn nun stimmt. Und warum sollte er es denn genau wissen: Freddys Biografien gibt es in schätzungsweise zwanzig Coverversionen. „Ich war bei der Fremdenlegion, in Casablanca“, sagt Herr Quinn, „und bei der der Einzige, der gleich wieder freigelassen wurde.“ Ob es stimmt? Und wenn nicht: Na und?
Herr Quinn hat nur ein Anliegen, das er dem taz-Reporter wirklich mitteilen möchte: „Ich mag die taz. Kinder der Rebellion. Eine Zeitung gegen die Spießer. Und Kleinbürger.“ Aber, aber, Herr Quinn: Haben Sie sich nicht kurz nach dem Zenit ihrer Karriere, so Ende der Sechzigerjahre, als wirklich nur noch die Alten etwas von „Heimatlos“ und „Hundert Mann und ein Befehl“ hören wollten, als allen anderen der Freddy entweder gleichgültig war oder dessen schluchzendes Hochseetremolo auf die Nerven ging, für ein Lied namens „Wir“ hergegeben, in dem der ewige Seemann nur so bellte gegen die Tunixe, die nicht arbeiten, gegen die Langhaarigen, die den Morgen verschlafen, und gegen die Protestierer, die die Ruhe stören?
Oh nein, der Herr Quinn will das Missverständnis ausräumen. Er habe mit diesem Lied viel Unfug gestiftet, denn ein Rebell sei er ja selbst auch, einer, der aus allen Korsetts immer herauswollte. Und überhaupt: „Hundert Mann und ein Befehl“, von den Achtundsechzigern noch angewidert als lüsternes Raunen im Namen des Militärs kommentiert, sei ja ein Antivietnamkriegssong gewesen, „aber ich bin so oft falsch verstanden worden“, sagt der Herr Quinn. Jedenfalls habe er doch gegen die Protestierer nie etwas gehabt, im Gegenteil: „Ich habe auch immer aufbegehrt.“ Nach einer Pause hat er es doch noch etwas differenzierter: „Natürlich, gegen Leute, die nicht arbeiten wollen und auf unsere Kosten leben, gegen die hat doch jeder was. Die die Gesellschaft ausnutzen.“
Und dann geht er zwei Logen weiter in Richtung Bühne, begrüßt den russischen Clown Oleg Popow, auf Russisch. Die Folkloregruppe „Los Paraguayos“, die seit dreißig Jahren fast jede deutsche Familienshow mit ihrer aufs Mitklatschen eingedampften Andenweltmusik beehrt haben, empfängt Freddy offenarmig auf Spanisch. Als Herr Quinn zurück kommt, sagt er: „Ich spreche viele Sprachen. Das hat mir immer geholfen. Nichts perfekt, aber es hat gereicht, um dem Gegenüber die Angst vor dem Fremden zu nehmen.“ Ein paar Vokabeln, spassiba und buenos dias, ein Handschlag dazu – so kann man sich Freddy wirklich vorstellen, wie er durch die Welt trampt und tourt, sich nie ganz auf eine Gegend einlässt, nie ein Leben dort beginnt, weil sie ihm immer Kulisse bleiben möchte.
Insofern musste Freddy auch nie schauspielern. Auch in seinen Filmen, die, cineastisch gesehen, nur sehr eingeschränkt und lediglich dann, wenn man Freddys jugendlich-makellosen Oberkörper sehen wollte, zu genießen waren, hat Herr Quinn ja nie gespielt. Er war es, der Seemann, der einsame Mann, der das Wort Hafen eigentlich hasst, weil es eine Bindung an einen Platz anzudeuten scheint. Er war dieser Sailor höchstselbst, auch wenn er nie eine nautische Ausbildung genossen hat. Und Freddy hat ja immer die Stichworte gerne geliefert, hat von Argentinien geraunt, von Uruguay, Marokko, Belfast, Amerika, Tahiti, Aloa Oe. Das Publikum war hingerissen: Freddy war einer, der weg war und nie mehr ankommen wollte. Ein Fremder zum Liebhaben. Ein unverlorener Sohn, der aber nie wieder in der Heimat die Leinen vertäuen konnte.
Und dieses Authentische war ja sein Ticket zum Erfolg. Andere hatten wie er versucht, den Seemann zu geben und der Melancholie der Trümmerjahre Ausdruck zu verleihen. Aber was bei anderen wie verkleidetes Angestelltentum aussah, wirkte bei Freddy wie eine Liveaufnahme aus dem echten Leben. Herr Quinn sagt dazu nur dies: „Das ist doch alles von gestern.“
Vergessen, vergessen, vergessen: Und das ist es doch es gerade. Mit Freddy war ein erinnerungsvages Leben möglich, er hatte diesen seltsamen Klang in der Stimme, der Traurigkeit enthielt und auch ein Stück vergeblichen Trotz. Ein Tramp sozusagen, ein wurzelloser Mensch, der sich, wie Herr Quinn, preist („Ich kann Arenen füllen“) und nichts preisgibt. Freunde habe er in aller Welt, „Freunde sind überhaupt das Wichtigste im Leben“, aber als er dem Veranstalter sagen soll, wen er zu seinem Geburtstag einladen möchte, bleibt Freddy Quinn stumm. Am Abend der Aufzeichnung sind es schließlich nur flüchtige Bekannte, die er persönlich einlädt.
Haben Sie noch, Herr Quinn, Kontakt zu den vielen KollegInnen, mit denen Sie früher arbeiteten? Nein. Lotar Olias, sein Hauskomponist, ist tot. An andere erinnert er sich nur vage. Caterina Valente vielleicht? Nein, aber Peter Alexander, den habe er zu dessen siebzigsten Geburtstag angerufen. Die Valente, sagt Herr Quinn, wohne ja wie er in der Schweiz, aber auf der gutbürgerlichen Seite des Luganer See, „ich habe nur eine kleine Ferienwohnung, aber auf der anderen Seite – da, wo die Künstler und Arbeiter wohnen“.
Und das betont der Herr Quinn in einer Art, die es völlig einsichtig erscheinen lässt, dass jemand wie er sein Gemüt nicht ins Schlageroldiewesen eingebettet hat. Nichts an ihm kommt charmant herüber, nichts an ihm wirbt um Sympathie, von Verständnis ganz zu schweigen. „Ich habe nichts zu erklären“, sagt er. „Ich mache meine Arbeit, und Schluss.“
Und dann versucht es der Reporter doch noch mit einer freundlichen Bemerkung, am Ende der Begegnung mit diesem Heros unserer Eltern. Sagt, dass er beim nächsten Mal viel mehr erfahren möchte von ihm, gewiss wieder respektieren werde, dass Nahaufnahmen unerwünscht seien. Und deshalb ihn, den Herrn Quinn, zum Chinesen einladen möchte. Freddy, das steht in den Unterlagen und das sagt auch Manager Triebcke, liebt chinesisches Essen. Herr Quinn wird schroff: „Oh nein, das werden wir nicht tun. Wir werden uns in diesem Leben nicht wiedersehen.“
JAN FEDDERSEN, 44, taz.mag-Redakteur, ist mit Freddy-Quinn-Songs aufgewachsen
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