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Kunst gegen „Schema F“

■ 15 angehende Verwaltungsbeamte wurden einen Monat lang mit Gegenwartskunst konfrontiert. In der Weserburg fassten sie ihre Erfahrungen zusammen

Jeder ist ein potentieller Antragsteller, könnte man in Abwandlung des berühmten Beuys-Satzes für die Verwaltung formulieren. Im weitesten Sinne ging es um eben jenen Bürger, den die Verwaltung oft auf die Palme treibt, der aber umgekehrt auch für die Mitarbeiter der Verwaltung ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Um das Verständnis der Beamten für ihr launisches Verwaltungsobjekt – den Bürger – zu verbessern, werden die Schüler der Bremer Verwaltungsschule seit einem halben Jahr im Neuen Museum Weserburg mit Kunstwerken konfrontiert.

Wozu? Damit sie später als Beamte nicht mehr achtlos an der Kunst im öffentlichen Raum vorbeigehen, die auf den Gängen der Bremer Behörden verstaubt? Vielleicht auch, aber die angehenden Beamten sollen lernen, mit ihren Vorurteilen umzugehen und den Kopf frei zu bekommen vom Schema F. Bisher war kaum einer von den Verwaltungsschülern je im Museum gewesen. Und schon gar nicht im Museum für Moderne Kunst.

Hanne Zech, die stellvertretende Direktorin des Museums, hatte die Idee zu diesem Projekt, das auf drei Jahre angelegt ist und aus EU-Mitteln gefördert wird. Mittlerweile ist die dritte Klasse dabei. Einen Monat lang verbrachten die Schüler jeden Dienstag im Museum, gewöhnten sich an die ungewohnte Atmosphäre. Dann mussten sie sich gruppenweise ein Werk aussuchen und vor der Klasse präsentieren.

„Aus unserer Klasse hatten ganz viele keinen Bezug zur Kunst“, sagt Kathrin, und Vanessa ergänzt: „Du lernst, dich mit den Sachen auseinander zu setzen und nicht mehr nur nach Schema vorzugehen.“ Christina gibt zu: „Was hier im Museum steht, hätte ich vorher nicht als Kunst bezeichnet. Kunst, das war für mich ein Bild und nicht wie hier ein Müllsack, der von Zeitungen überquillt.“ Aber einige sind natürlich auf Distanz geblieben: „Ich bin nicht der typische Museumsgänger, obwohl mein Opa ein impressionis-tischer Bildhauer war,“ sagt Christian, und Holger bleibt dabei: „Ich geh hin, guck mir ein Bild an und find' es sofort entweder gut oder scheiße.“

„Die Schüler haben skeptisch angefangen, sie hatten Angst vor Kunst“, sagt ihr Lehrer Rainer Kulmann. In einem „Übersetzungsschritt“ sollten sie sich fragen: „Was könnte das mit Verwaltung zu tun haben?“ Denn: „Der erste Zugang zum Kunstwerk oder Verwaltungsfall muss nicht der einzige sein.“ meint Rainer Kulmann.

Und dann beginnt die erste ,Bildinterpretation': Vanessa, Christina und Kathrin wollen in einer Art Talkshow ein Bild besprechen. Thema ist eine Fotografie von Bettina Reims: eine Nonne mit schwarzem Schleier und blutender Brust. Jeder Talkshow-Gast soll eine mögliche Deutung des Bildes darbieten. Vanessa spielt eine junge Verwaltungsbeamte. Sie ist ganz angetan von dem Bild und bezieht es auf ihre Arbeit, ganz im Sinne des Projekts: „Verwaltung soll kreativ sein. Wenn ich mir das Bild angucke, mache ich den Schritt von ,Was könnte sich der Künstler dabei gedacht haben?' zu ,Was könnte sich der Bürger mit seinem Antrag gedacht haben.'“ „Das Bild grenzt doch an Gotteslästerung“, kontert Christina, die eine Gläubige darstellt und sich mit der Beamten anlegt: „Ich mag lieber Blumenbilder, mit Landschaften.“ Kathrin kommt als die Künstlerin Bettina Reims höchstpersönlich. Sie will ihr Werk rechtfertigen. Christina: „Nehmen Sie erst mal den Hut ab, ich kann sie gar nicht sehen!“ „So was Engstirniges!“ Dann geraten sie sich in die Haare über alte und moderne Kunst. Kathrin alias Bettina Reims: „Kunst ist nicht nur Landschaft – man muß auch die schrecklichen Dinge im Leben sehen“. Das Palaver geht weiter, bis Christina am Ende weichgeklopft ist: „So langsam komme ich auch auf den Geschmack.“ Beifall von allen Seiten.

Museumsdirektor Thomas Dee-cke hat allen Präsentationen beigewohnt und ist begeistert: „Künstler überschreiten Grenzen. Wäre schön, wenn die Verwaltung das auch tut.“ Tom Brägelmann

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