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Versuchsfeld Theater

„Laokoon“-Abschluss mit Tom Plischke und Saburo Teshigawara im Schauspielhaus  ■ Von Marga Wolff

Eine Musette erklingt. Die Zuschauer reihen sich zur Polonaise, schwenken die Arme und beißen zwischendurch in den Apfel, den sie zuvor in die Hand gedrückt bekamen. Hier werde niemandem etwas vorgemacht, hatte der junge Mann, der in seinem weißen Outfit eher an einen Krankenpfleger als an einen Tänzer denken ließ, zuvor deutlich gesagt. Was bleibt einem also anderes übrig, wenn man sonst nichts zu tun hat und es auch weiter nicht viel zu sehen gibt. Da hoppelt man dann – rechts zwei drei, links zwei drei – so einem forschen Typen mit rosa Hasenohren am Kopf hinterher. Ganz leise beschleicht einen das Gefühl, womöglich als Versuchskanninchen herzuhalten.

Gegensätzlicher hätte der Abschluss des ersten Laokoon-Sommerfestivals kaum ausfallen können. Konzepttanz von Tom Plischke und seiner Gruppe B.C.D. auf der einen Seite. Ein Tanz, der viel denkt und redet, der tanzen lässt, anstatt selbst zu tanzen. Auf der anderen Seite, im Schauspielhaus, der japanische Choreograph und Tänzer Saburo Teshigawara mit Absolute Zero, dem absoluten Tanz, der nur noch tanzt und nichts kennt, als sich selbst.

Plischke, der deutsche Choreograph mit Wohnsitz in Berlin, gehört zu jenen analysierenden „Nichttänzern“, die das Theater zum Versuchsfeld erklären und gründlich unter die Lupe nehmen. Selbst ist der Zuschauer, lautet die Devise in seinem Tanzlabor, ein weiß ausgeschlagener, unbestuhlter Raum, den Publikum, Plischke und die sechs Tänzer/Darsteller seines Ensembles gemeinsam bespielen.

Peter Handkes Publikumsbeschimpfung stand Pate für ein letztlich nettes, höfliches Animationstheater, bei dem Kampnagels Besucher gern in den (ziemlich sauren) Apfel bissen. Und im Halbdunkel steht plötzlich ein Weißgekleideter ganz nah am Ohr eines Zuschauers und flüstert Anweisungen hinein, wie, sein Gegenüber im Auge zu behalten und herauszufinden, was man vielleicht gemeinsam haben könnte. Ein unsichtbares Netz wird ausgeworfen. Der Fremdbeobachtung folgt die Selbstbeobachtung: Rinnt der Speichel? Fließt der Atem? Am Overheadprojektor wird Sprache dekodiert. Und als bereite man eine Operation am offenen Herzen vor, rührt jemand Buchstabennudeln in rotgefärbtes Wasser, fischt drei Teilchen heraus und legt daraus „RED“ also „rot“, zusammen. „(Re)Sort“ hat Plischke seine kontextuellen, recht bemüht daherkommenden Neuordnungen genannt und Worte von Barnett Newman „The sublime is now“ an die Wand projiziert.

Und das gilt ebenso für Teshigawara, der alle Sinne zum Tanzen brachte. Eine Blüte zittert zart auf der Videowand, die noch den Bühnenkasten ganz verschließt. Musik von Mozart erklingt lieblich, reißt abrupt ab. Die Blumen beginnen heftiger zu ruckeln und zu schlagen. Farben springen plötzlich um. Natur wird künstlich, fremd und surreal, droht einen zu verschlingen. Die Wand fährt hoch.

Dann steht da der Tänzer wie ein einsamer Krieger auf der riesigen Bühne. In scharfen Hieben durchtrennen seine Arme den schwarzen Raum. Wenn er seine Pirouetten dreht, fliegen die Schichten seiner ebenfalls schwarzen Kleider auseinander wie ein sich öffnender Blütenkelch. Ins Nichts scheint er hineingeworfen. Er flattert und fällt, wirft die Bewegung von sich weg und fängt sie gleich wieder ein. Dann tastet er nach dem Widerstand, nach der Luft, die ihn hält, die er formt.

Eine Frau in Weiß, Kei Miyata, ist im zweiten Teil sein Gegenpol. Ganz langsam fließt die Energie durch ihre Arme, während sie sich kaum sichtbar nach vorn bewegt. Die zwei bauen ihr ureigenes Universum auf. Für Momente nur, einem Windhauch gleich, in denen sich ihre Arme in gleicher Weise öffnen, scheinen sie miteinander verbunden. Und dann und wann schaut diesem tanzenden Samurai die Eitelkeit vorwitzig über die Schulter. Letztlich siegt der Tanz, hinter dem der Tänzer fast verschwindet – wild, regungslos und still. Für einen Augenblick scheint nun die Welt den Atem anzuhalten.

Laokoon, konzipiert als Schaufenster auf kommende Kampnagel-Spielzeiten, bot ein buntes Sortiment, und zeigte Kultur, die ohne Exotismen auskommt, und Theaterrecherche, die erfrischend konsequente Wege geht. Dabei hätten die ästhetischen Entwürfe, die hier zu sehen waren, kaum gegensätzlicher ausfallen können. Gordana Vnuks programmatische Handschrift ist deutlich geworden. Die Zukunft verspricht anregend und überraschend zu werden.

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