Der Wille zum musikalischen Politikum

Befreit von Raserei: An der Deutschen Oper wird die kantige und spröde Agitprop-Oper „Intolleranza“ von Luigi Nono auf die einfache Erzählung eines Einzelschicksals reduziert

Die Entscheidung, die Ära des neuen Intendanten Udo Zimmermann mit Luigi Nonos „Intolleranza“ einzuläuten, ist vor allem eins: fürchterlich richtig. Die 1960 entstandene „szenische Aktion“ – das Wort „Oper“ hat Nono bewusst vermieden – zählt zu den unangefochtenen, gewichtigen Klassikern des zeitgenössischen Musiktheaters. Das Sujet ist ausnehmend politisch; „Intolleranza“ ist ein Manifest der Agitprop-Kunst, des bekennenden Weltanschauungsrepertoires: man möchte Oper, die sich einmischt. Das Stück ist – seiner knappen, einstündigen Dauer zum Trotz – außerdem sperrig und in seinem avantgardistischen Antritt voll von musikalischen wie dramaturgischen Inkohärenzen: Mehr als alles andere ist eine Inszenierung von „Intolleranza“ also „mutig“.

Nono ist von Anfang an der politischste unter den jungen Komponisten nach 1945 gewesen. 1959 entlarvte er die neue Musik als beschaulich heile Welt, um sich in den beiden folgenden Jahrzehnten der Idee einer revolutionären Musik zu widmen. Er erkenne keinen Unterschied, ob er einen Streik organisiere oder Musik schreibe, lautete die plakativste Formulierung seines Credos dieser Zeit.

„Intolleranza“ ist in dieser Hinsicht ein Schwellenwerk. Der Wille zum musikalischen Politikum ist beinah überdeutlich ausgesprochen: ein Gastarbeiter bricht gen Heimat auf, er gerät in eine Demonstration, wird verhaftet, gefoltert, landet in einem Konzentrationslager, bricht aus, erkennt die Notwendigkeit politischen Handelns und ertrinkt kurz darauf infolge einer von der Regierung verschuldeten Überschwemmung der Poebene. Das alles wird gespickt mit zahlreichen Anspielungen auf den Faschismus und staatliche Unterdrückungsmechanismen.

Gleichzeitig steht „Intolleranza“ noch ganz im Zeichen des Serialismus, jener Kompositionstechnik, in der Zahlenmatrizen den intuitiven musikalischen Gedanken beugten. Nonos Musik gerät kantig. Der mutwillige Verzicht auf jede auch nur angedeutete tonale oder metrisch regelmäßige Wendung versieht das gesamte Stück mit Spröde. Aber Nono hat eben etwas zu erzählen. Die Demonstrationsszene ist von arhythmischem Skandat durchsetzt, die Verhörszene wird – beinah billig – von einer militärischen Trommel begleitet, in den wenigen Liebesszenen trifft Nono einen lyrischen Ton.

Um nun aber nicht ins bürgerliche Metier der Oper zu verfallen, hat Nono sein Musiktheater als „szenische Aktion“ entfesselt. Der Chor soll – als Antipode zum Einzelschicksal des Flüchtlings – allgegenwärtig sein, die Bühne mit Projektionen tagespolitischer Ereignisse beherrscht werden. Aber auf just diese, dem Genre entgegenwirkenden Momente, hat die Berliner Inszenierung, die am Samstagabend Premiere hatte, verzichtet. Zum einen hat das Regieteam um Peter Konwitschny, der mehrfach als „Opernregisseur des Jahres“ gefeiert worden ist, den Chor über weite Strecken von der Bühne entfernt. Zum anderen wurde – unter Verweis auf den Overkill massenmedialer Reizüberflutung – auf die von Nono verordneten Projektionen verzichtet.

Er fand es wichtiger, „die Geschichte herauszuarbeiten, die das Stück erzählt“, erklärt Konwitschny sein Regiekonzept. Ein solcher Eingriff in die Substanz eines Werkes ist nun keineswegs verboten, aber er muss sich als Entwurf eigenen Rechts behaupten. Was bleibt, wenn man „Intolleranza“ von Raserei befreit? Die Erzählung eines Einzelschicksals, die eine herkömmliche Oper auch hätte leisten können. Konwitschnys „Intolleranza“ ist nicht missraten, bricht unter der Reduktion nicht zusammen. Aber es bleibt eine fragwürdige Inszenierung. BJÖRN GOTTSTEIN

19. 9., 23. 9., 28. 9., 2. 10. und 5. 10., Deutsche Oper, Charlottenburg