: Pixel-Pointillismus und Erinnerungsarbeit
■ „Walkabout“: Eine israelisch-deutsche Ausstellung über die Aneignung des Fremden
Acquirement of uncertainty – der Untertitel der aktuellen Kampnagel-Ausstellung, erinnert an „Assimilation“ und „Akkomodation“ – Begriffe, die der schweizerische Psychologe Jean Piaget für die Aneignung unbekannter Gegenstände und Bewegungen in der Kindesentwicklung geprägt hat.
Zur absichtsvollen Begegnung mit diesem Unbekannten und mit der Fremde, mit Wüste und Watt hat die Hamburger Kuratorin Petra Bopp im Frühjahr bzw. Herbst letzten Jahres jeweils vier israelische und deutsche KünstlerInnen in die Wüste Negev und ins friesische Wattenmeer eingeladen. Die Ergebnisse dieser Workshops sind jetzt auf Kampnagel unter dem Titel Walkabout zusammengefasst und zu sehen.
Blickfang der Ausstellung ist Jan Köchermanns über zehn Meter langes Bauwerk Schacht 4 – Caravan. Über einen schrägen, schulterhohen Schacht gelangt man in einen maßstabsgetreu nachgebauten, gelb leuchtenden Bauwagen. Metapher für den unaufhaltsamen, aber gebückten Aufstieg im Leben, an dessen entrücktem Ende (zwischen Schacht und Bauwagen klafft ein Spalt) eine leere Sinnblase wartet. Und ein Weg, der nur von Kindern – scheint's – unbeschwert beschritten werden kann. Daneben ist Irit Hemmos ironische Hommage an Julien Opie zu sehen, Zeichnungen von Thomas Siegmann sowie eine verwirrende, von „Betreten verboten“-Schildern beherrschte Installation von Nina Lola Bachhuber.
Eine deutliche Korrespondenz entspannt sich dagegen zwischen einer Ausstellungsvitrine Osnat Avitals und der gelungenen, humorvollen und akribischen Installation No woman no cry von Jenni Tietze. Mit beschrifteten und bemalten Objektträgern und Knetfiguren leistet sie Identitätssuche und Erinnerungsarbeit für die „Kursk“-Opfer – und gibt gleichzeitig einen bissigen Kommentar zur aktuellen Gentechnologie-Debatte.
Vor allem korrelieren aber die Fotoarbeiten von Hanna Sahar mit den schönen Pixelfotographien der in der Ausstellung omnipräsenten Osnat Avitar. Und natürlich begeis-tert Yehudit Sasporas Sonnenuntergang – eben, weil es einer ist.
Zumindest äußerlich lassen die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten allerdings keinen erkennbaren Bezug zu den vorangegangenen Workshops oder der Begegnung mit der anderen, vermeintlich fremden Kultur und Landschaft erkennen. Ein Umstand, den die vielen explizit unbetitelten Arbeiten noch verstärken und der den Ausstellungsbesucher mit einer vielleicht (un)beabsichtigten Ungewissheit zurücklässt.
Christian T. Schön
Di–Fr 18–20, Sa + So 16–20 Uhr; bis 30. September, Kampnagel (k3). Katalog 18 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen