: Hinterhaus, vier Treppen, links
Ort für alternative Lebensentwürfe und Defa-Filmkulisse: Die Ausstellung „Komm in den Garten. Kino in Prenzlauer Berg – Prenzlauer Berg im Film“
von CHRISTIANE BREITHAUPT
Mit nachdrücklichem Ernst erklärt Ralph Sunny seine Lebensweise: „Also, ich sitze in dieser Bude hier, habe keine Neubauwohnung und kein Auto angemeldet und besitze nicht mal einen Fernseher“. Sunny ist in dem 1980 gedrehten Film „Solo Sunny“ eine kompromisslose Sängerin, die ihr Leben ohne einen Acht-Stunden-Arbeitstag meistern will – und fast im Leben und in ihrer unglücklichen Liebe zu Ralph scheitert.
Beide, die Sängerin und der Philosoph, leben im Prenzlauer Berg, wo zu Beginn der Achtziger kein Warmwasser aus der Wand kam und das Schrankwand-Idyll auch nicht wirklich hinpasste. Der Film von Konrad Wolf, der wohl international erfolgreichste Defa-Film überhaupt, hat ein besonderes Lebensgefühl vorgeführt, das nicht nur im Osten den Zeitgeist traf; der Prenzlauer Berg mit seinen kunterbunten Einraumwohnungen im „Hinterhaus, vier Treppen“, mit den Kerzen und den vielen Bildern an der Wand, dem Klo eine halbe Treppe tiefer, den Einschusslöchern im Mauerwerk und dem Grau-in-Grau der zerbröckelnden Fassade hat diesem Gefühl entsprochen: das Leben nicht stromlinienförmig zu leben, sondern das individuelle Glück einzufordern.
„Komm in den Garten. Kino in Prenzlauer Berg. Prenzlauer Berg im Film“ heißt eine Ausstellung, die derzeit im Prenzlauer Berg Museum zu sehen ist. Die Ausstellungsmacher Susanne Bernhardt, Peter Mänz und Nils Warnecke haben einerseits Filme zusammengetragen, in denen der Stadtbezirk Prenzlauer Berg eine Rolle spielt – als Ort für alternative Lebensentwürfe oder auch als historische Kulisse. Kein Wunder ist es da, dass dem Defa-Film dabei der größte Raum zugesprochen wird. Im zweiten Teil der Ausstellung wird die Geschichte der Kinos im Bezirk dokumentiert. Wenn man die ehemalige Turnhalle betritt, dann bilden zwei Schautafeln links und rechts eine Art Tor. Auf beiden ist ein Stadtplan des Bezirkes mit vielen Fähnchen versehen: für die Orte, wo die Filme, die im Prenzlauer Berg spielen, gedreht wurden und wo es einmal Kinos gab oder noch gibt.
Die Fähnchen häufen sich jeweils um die Schönhauser Allee, dem Herzstück des Bezirks. An den Ausfallstraßen zwischen Prenzlauer und Schönhauser Tor gab es um die letzte Jahrhundertwende in den Biergärten die ersten „bewegten Bilder“ zu sehen. „Komm in den Garten“, der Titel des Ausstellung, bedeutete einstmals auch „Komm ins Kino“ – und dies war durchaus wörtlich gemeint. Zu den Ladenkinos, auch „Flohkästen“ oder „Kintöppe“ genannt, die bald wie Pilze aus dem Boden schossen, gesellten sich ab den Zwanzigerjahren die Großkinos.
Das 1924 gebaute Colosseum an der Schönhauser Allee, war das erste im Bezirk und ist das einzige Kino aus jener Zeit, das trotz Schließungen überlebt hat. Zur Schönhauser Allee führen auch die Anfänge des deutschen Films überhaupt. Hier filmte 1892, auf dem Dach des Hauses Schönhauser Allee 146, Max Skladanowski seinen Bruder Emil. Vier Jahre später nimmt er die hektische Straßenkreuzung Schönhauser/Ecke Pappelallee auf, die gut sechzig Jahre später den Titel zu einem Film gab, der den Ort wiederum berühmt machen sollte: „Berlin – Ecke Schönhauser“, eine neorealistisch erzählte Geschichte über junge Leute vor der Zeit der Mauer. Inmitten des Kalten Krieges wissen sie noch nicht, wohin das Leben sie bringen wird. Sie entfliehen der Enge ihrer elterlichen Wohnungen und gehen auf die Straße, wo sie unter der Hochbahn Wetten abschließen und den Boogie-Woogie tanzen. Die zugige Ecke wird zum Ort des Herausgefallenseins, des Noch-nicht-Daseins. Die Ausstellungsmacher haben ein übergroßes Szenenbild aufgestellt, und aus dem Kofferradio hört man immer wieder das Singen und Klatschen der Jugendlichen – wie eine Beschwörungsformel, fast bedrohlich wirkt das. Viele von den Filmen, die in den Sechzigerjahren im Prenzlauer Berg spielten, wurden im Zuge des 11. Plenums des ZK der SED 1965 verboten, darunter auch „Jahrgang 45“ von Jürgen Böttcher. Hier übernimmt der Bezirk eine tragende Rolle. Der existenzialistische Held, der ein paar Tage Urlaub hat, lässt sich durch die Straßen treiben. Der weite Blick vom Volkspark Prenzlauer Berg in Richtung Lichtenberg in der Schlussszene, dorthin, wo eine Reihe von Hochhäusern entsteht, deutet jedoch bereits ein kommendes Gegeneinanderspielen von Neubau und Altbau im Film an.
Was aber in „Jahrgang 45“ noch nach Abenteuer und Unfertigem aussieht, ist bei „Solo Sunny“ schon zur Biederkeit festgefroren: Als Sunny eine Nacht in einem Neubauhotel in einem Doppelbett mit einem Verehrer, den sie nicht liebt, verbringt, da wird ihr schlagartig klar, dass dieses „normale“ Leben, in das sie nach einem Selbstmordversuch zurückkehren wollte, sie ersticken wird.
Heute ist die Welt komplexer geworden, der Prenzlauer Berg hat seine anarchisch-poetische Patina fast gänzlich verloren: Die vielerorts leuchtend pastellfarbenen Fassaden scheinen die Zeit der nach Klo stinkenden Treppenaufgänge, der selbst bemalten Wohnungstüren und der rauchgeschwängerten Luft hinter zu verbergen. So sind die Filme, die von den Ausstellungsmachern zu einem einstündigen Crossover „Prenzlauer Berg“ zusammengeschnitten wurden, natürlich auch nostalgisch. Sehr nostalgisch.
„Komm in den Garten. Kino in Prenzlauer Berg. Prenzlauer Berg im Film“: Prenzlauer Berg Museum, Danziger Straße 101. Zu der Ausstellung gibt es ein Buch mit demselben Titel und vielen Abbildungen in der edition Berlin im Metropol Verlag, 120 Seiten, 19,80 DM
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