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Stumme Insulaner

Wie Anhänger von Schalke 04 die 2:3-Niederlage ihrer Mannschaft gegen den FC Arsenal London begleiten

LONDON taz ■ Wie nett die Engländer doch sind, so höflich, zurückhaltend – einfach gut erzogen. Schon im Zug nach London fängt es an: Überall Sorrys, Excuse-Me’s. Die Frau im Speisewagen, die ihre Bestellung korrigiert, sagt erst sorry, sorry to confuse you und dann noch einmal really sorry.

Und dann in London selbst: Man hat es ja fast schon vergessen, dass sie am Bus-Stop schon Schlange stehen, noch bevor der Bus da ist. Crazy, aber liebenswert. Auf dem Weg zum Stadion die erste richtige Verwunderung. Es ist noch eine Stunde bis zum Spielbeginn von Arsenal London gegen Schalke 04 in der Champions League, trotzdem fallen die Fans der „Gunners“ kaum auf. Keine Schlachtrufe, keine Gesänge und die U-Bahn wackelt schon gar. In Gelsenkirchen droht die Straßenbahn ständig aus den Gleisen zu springen.

Am Stadion selbst ist es nicht viel anders. Viele Fans zwar, aber halt, hier müssen wir den roten Faden der Geschichte für einen Moment aus der Hand legen, um aus ganzem Herzen zu schwärmen: Was für ein Stadion! Eingebettet in ein gemütliches Wohnviertel mit urigen Einfamilienhäuschen. Drinnen im Stadion sind Gesänge zu hören. Auf Deutsch. Von Schalkern. Sind wir etwa nicht im Mutterland des Fußballs, der Brutstätte für Hools, dem Geburtsort des bewegendsten Liedes der Fußballgeschichte „You’ll never walk alone“? Dann laufen die Mannschaften ein. Erstmals sind die Arsenalfans zu hören. Waren sie so geschockt von ihrer Niederlage in Mallorca letzte Woche? Wohl kaum.

Die Schweigeminute kündigte sich an. Eben verkündet ein Sprecher noch das Mitgefühl der Uefa für die Opfer des Terroranschlags von Amerika, erst auf Englisch, dann auf Deutsch, und in die anschließende Schweigeminute hinein rufen die Schalker „USA, USA“. Nett gemeint. Aber die englischen Fans machen alle „pssst“, und schon ist es ruhig. Auch in den nächsten fünfzehn Minuten sind die Engländer nicht zu hören. Okay, Schalke spielt überraschend stark, kann in den ersten Minuten schon zwei Tore machen. Aber gibt es einen Grund für die Anhänger einer der weltbesten Mannschaften, sich einfach so einschüchtern zu lassen? Langsam versteht man. Die sind heute so still, um der Opfer in Amerika willen. Oder?

Es folgt der Moment, wo auch die Schalker Größe zeigen. Ein Moment, den die Arsenalfans hätten nutzen können, um gemeinsam mit den Blau-Weißen Fangeschichte zu schreiben. Die Schalker singen, „You’ll never walk alone“. Ausgerechnet. Sie wenden sich dabei den englischen Fans zu, wollen alle Stadionbesucher zum Chor vereinen – aber die Engländer machen nicht mit. Schließlich die beiden Tore, die Engländer freuen sich. Arsenal spielt fünf Minuten lang wie in einem Rausch, lässt die Schalker alt aussehen. Dann singen wieder nur die Schalker.

In der Halbzeit spreche ich englische Journalisten auf das Verhalten der englischen Fans an. Dann springt mich die Wirklichkeit an: Die Stimmung war immer so. Ob mir nicht aufgefallen sei, wie viel Schlipsträger im Stadion sind, die Eintrittskarten seien einfach zu teuer – mindestens 70 Mark.

Schalke hat 2:3 verloren. Tolles Spiel. Die Anhänger von Andy Möller und Emile Mpenza singen zwanzig Minuten nach Ende immer noch. Arsenals Trainer Arsene Wenger sagt in der Pressekonferenz: „Dieses Schalker Team kann überall auf der Welt jede Mannschaft schlagen. Eigentlich ein wunderbarer Fußballabend. Wenn nur nicht die englischen Fans so enttäuschend wären.“ MARKUS FRANZ

FC Arsenal London: Seaman - Lauren, Keown, Grimandi, Van Bronckhorst - Ljungberg, Parlour, Vieira, Pires (76. Inamoto) - Henry (90. Henry), Wiltord (72. Bergkamp) FC Schalke 04: Reck - Hajto, Waldoch, Van Kerckhoven - Vermant (54. Asamoah), Oude Kamphuis, Van Hoogdalem, Böhme (82. Mulder) - Möller (72. Djordjevic)- Mpenza, Agali Zuschauer: 35.361, Tore: 1:0 Ljungberg (33.), 2:0 Henry (35.), 2:1 Van Kerckhoven (43.), 3:1 Henry (47./Foulelfemter), 3:2 Mpenza (59.)

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