Kuck mal, so bin ich

Ein neuer Kishon? Florian Illies plaudert in seinem neuen Buch über die kleinen Unschuldigkeiten des Alltags

Trennen Sie Ihren Müll? Gut. Aber: Können Sie genau sagen, in welchen Eimer die Zitronenschalen gehören? Für den Biomüll sind die doch wohl zu kräftig gespritzt. Aber für den Restmüll wirken sie eindeutig zu pflanzlich. Also, wohin damit?

Das sind so die Fragen, über die man ins Grübeln geraten kann (oder konnte, vor dem 11. September, muss man dieser Tage wohl kritisch einfügen, aber davon soll in diesem Text ausnahmsweise mal nicht die Rede sein). Jeden Tag grübelt man darüber also ein bisschen, wenige Sekunden, beim Akt des Wegwerfens, und die Entscheidung, die man trifft (Rest- oder Biomüll) scheint einem hinterher immer irgendwie falsch. Und schon ist es da, das schlechte Gewissen. Florian Illies hat nicht nur gegrübelt, sondern aus seinem gesammelten Grübeln und seinen Gewissensbissen (die sich längst nicht nur bei der Mülltrennung einstellen) ein Buch gemacht.

Seine Gewissensbisse? Natürlich nicht. Obwohl Illies bei seinen Erörterungen der Ethik von Autofahrten, Rosenkäufen und Auslandsurlauben immer aus der Ich-Perspektive berichtet, ist es natürlich kein Buch über die Gewissensbisse des Journalisten Florian Illies geworden. „Anleitung zum Unschuldigsein. Das Übungsbuch für ein schlechtes Gewissen“ ist, wie schon Illies’ letztes Buch „Generation Golf“, eine Zustandsbeschreibung, ein auf Wiedererkennung angelegter Text: „Ach, kuck mal, so geht es mir ja auch immer, so bin ich auch, aber so formulieren könnte ich das nie“, soll der Leser denken. Und da Illies ein sehr guter Beobachter ist, denkt der Leser das auch oft genug.

Nun könnte man die Ansicht vertreten, es seien nun langsam wirklich genug Bücher erschienen, in denen uns die Autoren erzählen, was wir selbst denken und fühlen, was wir erlebt haben und uns also geprägt hat, Bücher, die uns erzählen, wer wir sind, wie wir sind, und dass ganz viele so sind wie wir. Vielleicht wäre es irgendwann auch wieder einmal ganz schön, ein neues deutsches Buch in die Finger zu bekommen, das zur Abwechslung mal nicht von der eigenen Befindlichkeit handelt.

Man könnte dem Autor auch unterstellen, dass er, nachdem er wohl in einem einzigen Wurf die originelle Struktur seines „Übungsbuchs für ein schlechtes Gewissen“ entworfen hat – mit Kapiteln wie „Heute gehe ich rauchend bei Rot über eine Ampel, an der drei Mütter mit ihren Kindern warten“ und anschließender Übung zum Selbermachen –, einige jener viel versprechenden Kapitelüberschriften dann doch zu merkbar routiniert mit Text unterlegt hat.

Man könnte schließlich anmerken, dass einige von Illies’ Beobachtungen allzu vertraut erscheinen – und das nicht etwa, weil er so kenntnisreich tief in die deutsche Seele geblickt hätte, dass die Lektüre zum Blick in den Spiegel gerät. Viel mehr stellt sich eine wesentlich schlichtere Déjà-vu-Erfahrung ein, wenn er etwa bei der Abhandlung der inneren Konflikte eines zum Abendessen eingeladenen bemerkt, es sei so schwer, das Essen zu loben, man lobe garantiert ausgerechnet jene Speise, die als einzige nicht frisch zubereitet, sondern fertig gekauft wurde. Über dieses Problem hat Ephraim Kishon schon vor vielen Jahren kolumniert.

Das könnte man alles kritisieren. Kann man sich aber auch sparen, diese Spitzfindigkeiten. Denn eigentlich ist das die Botschaft von Illies’ Buch: So viele Gedanken machen wir uns, über so unwichtige Nichtigkeiten. So unfähig sind wir, unser Leben zu genießen. Nun, dann lasst uns wenigstens das Lesen genießen. Und dazu gereicht die „Anleitung zum Unschuldigsein“ allemal. Denn Florian Illies schreibt höchst unterhaltsam, in klaren, einfachen Worten. Langweilig ist er nie. „Heute bleibe ich einen Tag zu Hause“ zum Beispiel ist eine wirklich gelungene Echtzeitbeschreibung der inneren Katastrophe eines so pflichtbewussten wie pflichtenscheuen Menschen und dessen Unfähigkeit zum Genuss. Am besten jedoch ist die „Anleitung zum Unschuldigsein“ immer dann, wenn Illies jeden aufkommenden Moralismus mit Absurdem erschlägt. Dem Zauderer, der nicht weiß, ob und zu welchem Preis er sich im Restaurant eine langstielige Rose für seine Liebste andrehen lassen soll, hat er ein nützliches Entscheidungsdiagramm gezeichnet. Und Zitronenschalen, räsoniert der Autor, könnten auch gut in die gelbe Tonne passen.

Allein schon wegen ihrer Farbe. STEFAN KUZMANY

Florian Illies: „Anleitung zum Unschuldigsein“. Argon Verlag, Berlin 2001, 224 Seiten, 34,21 DM