: Fidel kann nicht schlafen
In Kuba steckt der Nationalsport Baseball in seiner bislang tiefsten Krise. Die etablierten Stars sind alt, der Nachwuchs fehlt. Erneuerung ist seit der Niederlage gegen die USA in Sydney das Schlagwort
aus Havanna KNUT HENKEL
Rhythmisch hämmern die Fans auf die blechverkleidete Abgrenzung zum Spielfeld. Klong, klong, klong, schallt es durch das weite Stadionrund im Guillermon Moncada, dem Baseballtempel von Santiago de Cuba. Hier ist der amtierende Meister der kubanischen Liga zu Hause und Antonio Pacheco steht am Schlag. Ein letztes Mal lockert er die Muskeln, lässt den Aluschläger locker schwingen, dann gibt er dem Schiedsrichter ein Zeichen und nickt dem gegnerischen Pitcher zu. Der lässt sich Zeit, bückt sich nach einigen Erdkrumen und zerbröselt sie in der Wurfhand. Talkumbecken, wie in den US-amerikanischen Major Leagues, sind in Kuba selten. Einige Bröckchen rote Erde müssen reichen, um die Wurfhand vom Schweiß zu befreien. Dann ist der Pitcher so weit.
Er blinzelt in die hoch stehende Sonne, holt aus und die lederummantelte Korkkugel saust knapp am Schläger von Pacheco vorbei. Die Fans auf der Tribüne werden laut. Die Conga, ein Trommelzug, setzt ein und auch das blecherne Klong, Klong macht wieder die Runde durch das Stadion. Pacheco ist ein nationales Idol und immer für einen Homerun gut. Doch heute will es nicht klappen beim vielfachen kubanischen Nationalspieler, der zu den besten Second Basemen der Welt gehört. Ähnlich unglücklich agiert Orestes Kindelán, der seinen Nationalmannschaftskollegen am Schlagmal ablöst. Ein Fan wirft unwirsch sein Erdnusstütchen zu Boden. „Keinen Biss“ hätten die seinen, mosert er vor sich hin.
Ähnliches wie den Santiagueros widerfuhr der kubanischen Nationalmannschaft im olympischen Finale von Sydney gegen die USA. Sang und klanglos mit 0:4 ging der Doppelolympiasieger unter gegen ein US-Team aus College-Spielern und zweitklassigen Profis. Für die baseballverrückten Kubaner eine nationale Tragödie. Die Niederlage gegen den Klassenfeind soll Kubas oberstem Fan, Fidel Castro, gar schlaflose Nächte bereitet haben. „Renovación“, Erneuerung, heißt seitdem das Zauberwort.
Die nationalen Idole wie Omar Linares, Orestes Kindelán oder German Mesa sind in die Jahre gekommen. Linares, jahrelang von Fachleuten als bester Third Baseman weltweit gehandelt und mit lukrativen Angeboten aus dem Ausland bombardiert, ist mit mittlerweile 34 Jahren langsamer und verletzungsanfälliger geworden, aber immer noch der größte Star in Kuba. Ein gleichwertiger Ersatz für den Ausnahmekönner ist nicht in Sicht und die jahrzehntelange internationale Dominanz der kubanischen Staatsamateure gehört wohl endgültig der Vergangenheit an.
Nichtsdestotrotz sind die Kubaner an einem guten Tag durchaus in der Lage, selbst einem US-Profiteam die Grenzen aufzuzeigen. Das hat das Duell mit den Baltimore Orioles gezeigt, die im eigenen Stadion im Frühjahr 1999 mit 6:12 verloren. Doch der nationale Spielbetrieb findet eben nicht auf dem hohen Niveau statt, das in den großen US-Ligen geboten wird. Woche für Woche Höchstleistungen zu bringen, das sind die kubanischen Cracks nicht gewohnt und die meisten schlagen sich mit lästigen Alltagsproblemen herum. Seit 1992, dem Beginn der anhaltenden Wirtschaftskrise, ist auch der Nationalsport Numero Uno auf Diät gesetzt und davon sind vor allem die Nachwuchsspieler betroffen.
Während Mario Kindelán im nagelneuen Nissan-Coupé durch Santiago braust, sind junge Talente wie Outfielder Yoelmis Poll oder Michel Rodríguez noch auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Oder auf Mannschaftskollegen, die sie zum Training abholen. Offiziell wird der Nachwuchsförderung zwar Priorität eingeräumt, aber die Mittel sind begrenzt. Auf immerhin 161 Millionen Pesos, mehr als 344 Millionen Mark, beläuft sich der Gesamtetat des nationalen Sportinstituts (INDER) in diesem Jahr. Das sind zwar 13 Millionen Peso mehr als im Vorjahr, doch das Geld soll vor allem in die Verbesserung der Ernährung und die Renovierung der Leistungszentren investiert werden. Für die individuelle Förderung wird kaum etwas übrig bleiben.
Trotzdem gibt es in Kuba noch immer ausreichend junge Talente, die in die nationale Liga drängen. Sie behutsam aufzubauen und zu integrieren, dafür plädiert Sigfredo Barros, Sportjournalist des Parteiblatts Granma, der wichtigsten Tageszeitung. Seine Devise: Vertrauen in die Jugend. Doch dazu gehören auch Anreize wie Auslandsreisen und Dollarprämien, die in der Leichtathletik oder im Volleyball längst Usus sind. Mit dem Amateur-Baseball wird auf internationaler Ebene jedoch kaum Geld verdient. Ein Grund, weshalb nun neuerdings eine verbesserte Vermarktung des Nationalsports gefordert wird. Bis dahin müssen sich die Verantwortlichen etwas einfallen lassen, um die jungen Spieler bei der Stange zu halten, von denen immer mehr in die USA fliehen und dort auf das große Geld hoffen.
Längst schon weisen viele Auslandsofferten nicht mehr so selbstverständlich ab wie José Ibar, herausragender Pitcher der Industriales aus Havanna. Mit der „Liebe zu meinem Vaterland, die mir lieber ist als das viele Geld“, soll er ein Vertragsangebot abgelehnt haben. Ibar wurde bei den Industriales Nachfolger von Orlando „El Duque“ Hernández. Der floh vor drei Jahren spektakulär per Boot von seiner Heimatinsel und verdient seitdem sein Geld bei den New York Yankees. Kubas Baseballenthusiasten verfolgen via Radio Martí, den auf Kuba zugeschnittenen spanischsprachigen US-Sender, jeden Schritt des Béisbol-Idols, der keinerlei Anpassungsschwierigkeiten im Mutterland des Sports hatte. Viele Jugendliche haben sich neben Kindelán oder Linares nun El Duque zum Vorbild erkoren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen