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Maria in Delmenhorst

■ Mit ihrer Installation „Lourdes“ arbeitet Gabriele Regiert sich an ihrer katholischen Vergangenheit ab

Am 11. Februar 1858 gehen drei Mädchen in der Nähe von Lourdes zum Holzholen in den Wald. Unter ihnen ist die 14-jährige Bernadette Soubirous, die glaubt, vor einer Grotte die leibhaftige Jungfrau Maria zu sehen. Gleich 17 Mal hintereinander wird ihr die Marienerscheinung widerfahren. Lourdes entwickelt sich daraufhin zum Wallfahrtsort der Mühseligen, Beladenen und Kranken. Der Wunsch nach Heilung treibt sie zur Reise an den heiligen Ort und in die Arme der Geschäftemacher.

Lourdes ist von Delmenhorst ziemlich weit weg. Die Künstlerin Gabriele Regiert aber hat Lourdes in der Städtischen Galerie Delmenhorst nachgebaut. Sie inszeniert dort das Fantasmatische des Ortes in seiner ganzen Ambivalenz. Regiert, die lange Zeit in Bremen gearbeitet hat, lebt zeitweise in Südfrankreich in der Nähe des bekannten Wallfahrtsortes. Doch ihre Raum-Installation ist mehr als die Annäherung an einen für sie geografisch nahe liegenden Ort.

Vor allem ist sie eine Annäherung an die eigene Lebensgeschichte. Denn die gewesene Katholikin kennt sich in der katholischen Mystik offenbar gut aus. Zumindest gut genug, um zu wissen, dass die Verkitschung dieser Mystik nicht etwa bloß ihre Pervertierung ist, sondern zu deren ureigenstem Wesen gehört.

Ihre Installation hat Riegert als Wallfahrt mit fünf Stationen angelegt. Der Besucher wird in deren Verlauf durch fünf Räume des ersten Stocks der Galerie-Villa geführt. Mit einem Wartehäuschen aus transparenter PVC-Wellpappe fängt alles an: Ort der Erwartung mit himmelblauer Wand.

Weiter geht es zur „Andacht“ mit Betstühlen und allerlei Nippes. Ein Feld von Votiv-Tafeln lädt zum Innehalten ein. Besucher katholischer Kirchen kennen diese pinnwandähnlichen Wände, wo seitens der Gläubigen vermeldet wird, dass Maria geholfen hat. Die kleinen Holztafeln Regierts, meist mit Wachs beschichtet, sind hautfarben und zeigen Körperteile. Sie zeugen von der Gebrechlichkeit des Körpers. Denn Lourdes ist ein Ort, wo Totkranke und Zerfallene sich hinkarren lassen, in der verzweifelten Hoffnung, ihr Schicksal zu wenden. Dabei müssen auch die Wegelagerer der Heilsindustrie passiert werden. Vorbei an „Kanistern der Madonna von Lourdes“ und an einem Altar mit Billig-Schmuck und Vasen geht es dann aber in einen großen Raum, der auf das Jenseits verweist. Er ist mit einem Netzhimmel überspannt, acht mal vier Meter groß. Aus „Kunststoffgarn, gehäkelt“, wie die Werkliste verzeichnet.

Gehäkelt, das ist vielleicht der Begriff, der auf die religiöse Praxis zutrifft, die Regiert in ihrer Ausstellung vorführt. Denn die Sehnsucht nach Transzendenz endet hier im Trivialen, im Kitsch, im Gehäkelten. Besonders originell ist diese Erkenntnis wiederum nicht gerade. Das Phänomen „Camp“ spielt seit jeher mit einer Vermischung der Register des Erhabenen und des Trivialen.

Und die Wunder von heute passieren wohl weniger im Museum. Dafür aber in dem katholischen Ort Marpingen. Das liegt im Saarland. Vor einiger Zeit ist einem Mädchen dort die Jungfrau Maria erschienen. Nicht in einer Kunstausstellung, sondern in echt. Leibhaftig.

Andreas Trabusch

Städtische Galerie Delmenhorst, Fischstraße 30, bis zum 21. Oktober 2001. Öffnungszeiten: Di - So

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