Traurige Helden, immerhin mit Würde unterfüttert

■ Armin Petras inszeniert Fritz Katers „Fight City. Vineta“ im Thalia in der Gaußstraße

Das Leben in Frankfurt/Oder ist angeblich so grau wie die Plattenbauten, die dort in der Gegend he-rumstehen. Grau ist auch die Turnhalle in Armin Petras' Inszenierung von Fritz Katers Fight City. Vineta zur Eröffnung der Spielzeit im Thalia in der Gaußstraße. Die Irreführung ist gewollt, denn hinter dem Pseudonym des Fritz Kater verbirgt sich der Regisseur Armin Petras und umgekehrt. Beide sind ein und derselbe durch das Leben im Osten wie im Westen gestählte Theatermacher. Von den Sehnsüchten und den enttäuschten Hoffnungen einer Schar liebenswerter Verlierer erzählt er mal lakonisch, mal slapstickhaft, aber nie langweilig.

In der Heimat ist längst nicht mehr alles „Sensodyne“, erkennt der alternde Boxer Steve, gespielt vom Berliner Gast Milan Peschel, als er nach neun Jahren nach Frankfurt/O. zurückkehrt. Irgendwie haben dort alle den Schock der Wende nicht so richtig verkraftet. Sein Trainer (Peter Kurth) verdingt sich nachts bei Mitropa, tagsüber drangsaliert er seine Zöglinge in einer unbeheizten Turnhalle. Die Tochter des Trainers, Rosa, bei Fritzi Haberlandt eine authentische Berliner Göre, hat sich ihren Rü-cken bei der Sportgymnastik für den Staat verdorben. Sie hat nur noch ein Ziel: Abhauen ins glamourösere Hamburg mit ihrem Freund Frank (Andreas Pietschmann), der natürlich auch boxt. Aber so einfach ist das Entkommen nicht. Die Boxkämpfe müssen das Geld bringen. Dazu nervt Franks frustrierte Mutter (Verena Reichhardt) das junge Paar mit ihrem Suff und ihren schlüpfrigen Tagträumen. Auch die Ärztin Leila (Leila Abdullah), einst große Liebe von Steve, dorrt vor sich hin. Der stille Mike wiederum schweigt in sich hinein, poliert seine Springerstiefel, und was er sonst vielleicht denkt, will man lieber nicht wissen. So richtig kommen sie alle nicht los. „Und wir lieben die Heimat, die schöne“, singt Fritzi Haberlandt. Sie lieben sie mit Polenmarkt und Schrottplatz, mit McDonalds und Ikea. Und Petras gelingen dazu wunderbare Momente. Manche Sätze bleiben außerhalb jedes Zusammenhangs und passen doch. „Früher war die Zukunft besser“, sagt der Trainer zerknirscht. Oder: „Das Leben ist ein Sarg, wo die Leiche abgehauen ist.“ Anrührend anzuschauen ist die egoistische Bosheit und die Abgebrühtheit von Rosa, wenn sie ihren Frank zum Kampf trimmt und beider Zukunft auf einem Apfelteppich ins Stolpern gerät. Grandios, wenn Steve, der Verlierer par excellence, endlich neben Leila im Bett liegt und die vor Jahren bereitgelegte Schallplatte in den Schlitz schiebt. Sweet home Alabama tönt es aus längst vergessener Zeit. Es sind traurige Helden, doch Petras gibt ihnen eine Würde, die auch nicht abhanden kam, als die Wogen über jedem Einzelnen zusammenschlugen.

Annette Stiekele

nächste Vorstellungen: 28.,29. September, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße 190