Verlassen von den Fans und allen guten Geistern

Hertha BSC Berlin gewinnt mit 1:0 über den KVC Westerlo, zieht in die zweite Runde des Uefa-Pokals ein – und befindet sich doch in tiefer Krise

BERLIN taz ■ Gleich links neben der großen Hauptribüne, nur einen Doppelpass von der Großbaustelle Marathontor entfernt, war die Welt noch in Ordnung. Ein Häuflein Fußballfans aus Belgien hatte sich dort eingefunden, und als die Partie zwischen Hertha BSC Berlin und dem KVC Westerlo endlich abgepfiffen war, hüpften die rund 50 Getreuen frohgelaunt hinunter an die Balustrade, um ihrer Mannschaft dort ganz nahe zu sein und sie zu feiern, wild entschlossen, sich von nichts und niemandem die gute Stimmung verderben zu lassen, auch von einer 0:1-Niederlage nicht und dem damit verbundenen Aus in Runde eins des Uefa-Cups.

Der große Rest im spärlich besetzten Berliner Olympiastadion schaute den glücklichen Belgiern zu – und schwieg. Oder schlimmer: Er pfiff die eigene Mannschaft aus. Oder noch schlimmer: Er verbündete sich mit den belgischen Gästen und beklatschte ebenfalls deren Team, so wie er es zu weiten Teilen der zweiten Halbzeit schon getan hatte, um die Herren Hertha-Spieler gewahr werden zu lassen, dass sie gerade dabei waren, auch noch das letzte Restlein Kredit bei den eigenen Fans zu verspielen. Und damit dies auch wirklich keinem entging dort unten auf dem Grün, wurden als flankierende Maßnahmen der beliebte Sprechgesang „Wir sind Herthaner und ihr nicht“ angestimmt.

Es war ja auch ein grausamer Kick, den die Hertha da ablieferte. Und je länger das Spiel andauerte, desto grausamer wurde es; am Ende konnte selbst der Siegtreffer vom eingewechselten Marcelinho in Minute 85 sowie die Tatsache, den Einzug in die zweite Uefa-Cup-Runde geschafft zu haben, die Anhänger in ihrem Zorn nicht besänftigen. Gemeinhin wird eine solche Partie mit der lakonischen Bemerkung, „Hauptsache weiter“-gekommen zu sein, abgehakt, bei Hertha aber ist der gemeine Fan derzeit noch nicht einmal dazu mehr bereit. Viel lieber pfeift er auf die eigene Mannschaft – und wünscht sich lautstark den Trainer zum Teufel.

Jürgen Röber, der Trainer, weiß, dass die Situation brenzlig ist, auch wenn die maßgeblichen Personen im Verein ihm gerade ungewohnt kräftig den Rücken gestärkt haben, zumindest verbal. Und er hat Verständnis dafür, dass die Fans im Olympiastadion unzufrieden sind, er selbst und die Mannschaft sind es ja auch. „Andererseits“, sagt der 47-Jährige aber auch, „helfen uns die Fans so nicht weiter“ – mit all ihren Schmähungen und „Röber raus“-Rufen, sondern verunsichern das ohnehin schon so wankelmütige Team noch mehr, gegen Westerlo war das deutlich zu sehen: Je mehr das Publikum pfiff und schimpfte, umso schlimmer wurde es auf dem Rasen. „Wir haben von Minute zu Minute mehr Angst bekommen, doch noch ein Gegentor zu kassieren“, hatte auch Röber erkennen müssen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Westerlo dieses tatsächlich geschossen hätte und der so sicher anmutende 2:0-Vorsprung aus dem Hinspiel auch noch unsicher geworden wäre.

Wenigstens das ist der Hertha, ohne die Stammkräfte Deisler, Preetz und Rehmer angetreten, erspart geblieben, die Krise ist auch so schon tief genug. „Wir kommen mit der Situation nicht zurecht“, sagt Trainer Röber, jener nämlich, bis dato so weit hinter den Erwartungen, auch den eigenen, zurückgeblieben zu sein, was immer mehr für Ratlosigkeit zu sorgen scheint, auch beim Trainer. „Wenn wir wüssten, woran es liegt“, sagt Röber, „würden wir einfach den Hebel umlegen.“ Bis dahin hat er derzeit nur einen Rat parat: „Augen zu und durch.“ FRANK KETTERER