: Liebestöter Nordpol
■ „Ich könnte mich am Nordpol nicht verlieben“, singt und behauptet Götz Alsmann und erweckt in der Glocke die toten Weisen des „Adenauer-Swing“ aus den 50er-Jahren
Man darf und man kann wieder lachen! Harald Schmidt ist wieder auf Sendung, und Götz Alsmann kann mit seinem Programm „Filmreif“ in der Glocke auftreten, ohne sich vorher mit gewundenen Erklärungen dafür entschuldigen zu müssen.
Angekündigt wurde er auf der Bühne als „der Hannibal Lecter des Jazzschlagers“, und das brachte zwar den ersten Lacher, war aber trotzdem falsch. Denn Götz Alsmann schlachtet ja gerade die Schnulzen nicht. Zwischen den Liedern mag er über alles und jeden Witze machen, aber wenn er mit seiner kleinen, aber feinen Combo (Bass, Schlagzeug, Percussion, Posaune und er am Piano) versucht, die Unterhaltungsmusik der 50er Jahre wieder zu erwecken, dann spielt er jeweils ganz ernsthaft und so einfühlsam und schmalzig wie nur möglich.
Er parodiert und ironisiert nicht, wenn er seine eigenen Nachschöpfungen wie „Ich könnte mich am Nordpol nicht verlieben“, „Ich liebe die Sonne, den Mond und die Sterne“ oder „Winke Winke“ in schönstem Adenauer-Swing vorträgt. Natürlich weiß er um die komische Wirkung solcher Anachronismen, und seine tolle Haartolle wirkt ja von Anfang an wie ein „Achtung-Ironie“-Signal. Aber man merkt auch schnell, dass er diese drögen Rumbas, Tangos und Cha-Cha-Cha mit ihren himmelschreiend naiven Texten wirklich liebt und gerne spielt.
Götz Alsmann wirkt dabei wie ein Gegenentwurf zu den damaligen Schlagerstars wie Paul Kuhn oder Bill Ramsey, die immer wieder betonten, dass sie persönlich viel lieber Jazz spielen würden als die Schlager, durch die sie berühmt wurden. Alsmann dagegen könnte einen soliden Mainstreamjazz spielen (am Piano improvisiert er ganz anständig), er könnte auch ganz in die Komikerrolle schlüpfen und die Musik wie sein Kollege Helge Schneider dekonstruieren. Statt dessen wählte er diesen ganz eigentümlichen Weg, und erfreut das Publikum mit einer Musik, deren Zeit längst abgelaufen ist. Da ist er oft rührend in seiner Hingabe für diesen musikalischen Nippes.
Die Show war perfekt durchinszeniert, jede Pointe traf. Die Ansagen nahmen fast soviel Zeit in Anspruch wie die Musik und waren entweder kleine komische Kurzgeschichten, oder absurde Aktionen wie ein „Nibelungenquiz“, bei dem das Publikum die Besetzung der Heldensage erraten musste, und Alsmann schließlich Wagners verlorene Arie „Jonathan, spiel mit der Eisenbahn“ intonierte. Das Ganze war schon fast zu genau durchkalkuliert, um wirklich zu begeistern, aber dann sah man wieder, wie er am Piano mit dem Fuß nach dem Mikroständer fischte, ihn ohne hinzusehen fand und für seinen Gesang zu sich herzog. Diese während des Auftritts oft wiederholte Bewegung war zugleich elegant, selbstvergessen und auch ein bisschen pennälerhaft angeberisch. Wahrscheinlich ist sie längst für ihn zu einem unwillkürlichen Reflex geworden, solche Manierismen haben nur Performer, denen die die Bühne so vertraut wie ihr Wohnzimmer ist. Wer sich so bei seinem Auftritt bewegt, kann nicht ganz schlecht sein. Und wer außer Götz Alsmann könnte sonst noch mit Hingabe das oberschmalzige „Besame Mucho“ singen und die Worte „Placentoplex C“ in den Mund nehmen, ohne dass einem dabei übel wird. Wilfried Hippen
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