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Westberlin stirbt ruhmlos

Sie haben die Stadt geführt und geprägt. Zum Dank nennt das Abgeordnetenhaus Eberhard Diepgen einen „Berliner von Geburt und Überzeugung“. Sein Helfer Landowsky wird nicht mal mehr erwähnt

von ROBIN ALEXANDER

Eigentlich klang alles nach Alltag auf der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Nach aktueller Stunde und Fragestunde standen immerhin neun Beratungspunkte und zwei Vorlagen zur Kenntnisnahme an. Eine dröge Arbeitsveranstaltung also? Ja – und auch wieder nein. Denn diese 34. Plenarsitzung der 14. Wahlperiode des Berliner Abgeordnetenhauses war gleichzeitig seine letzte. Viele der Politikerinnen und Politiker die (West-)Berlin seit Jahren geprägt haben, werden dem Abgeordnetenhaus in Zukunft sicher nicht mehr angehören. Zu denen, die nicht wieder antreten, gehören einige, die einmal Macht hatten.

„Für die, die ausscheiden, möchte ich einige stellvertretend hervorheben“, sagt Parlamentspräsident Reinhard Führer (CDU) zu Beginn der Sitzung. Zuerst nennt er Eberhard Diepgen. Vor sage und schreibe dreißig Jahren zog Diepgen zum ersten Mal ins Abgeordnetenhaus ein. Führer erinnert, Diepgen habe „mit großem Engagement und mit ganzer Kraft“ für Berlin gearbeitet. Er habe „länger an der Spitze der Stadt gestanden als jeder andere“. Das ist wahr: Ab 1984 amtierte Eberhard Diepgen als Regierender Bürgermeister. Unterbrochen nur von einer kurzen rot-grünen Unterbrechung, die Diepgen um seinen Platz auf den historischen Fotos von 1989 brachte.

Das eigentliche Wunder ist, wie lange sich Diepgen mithilfe einer von allen Beteiligten als qualvoll empfundenen großen Koaliton im Amt halten konnte. Deutschland veränderte sich. Berlin veränderte sich. Die Berliner veränderten sich. Nur Diepgen blieb. Und blieb. Und blieb. Bis Juni 2001. Parlamentspräsident Führer erklärte, Diepgen sei „Berliner von Geburt und Überzeugung“. Was immer damit gemeint gewesen sein mag, der Angesprochene jedenfalls war gerührt, und die Abgeordneten aller Fraktionen applaudierten. Der Exregierende strebt im nächsten Jahr eine Kandidatur für den Bundestag an.

Der Mann, ohne den Diepgen weder Regierender geworden noch lange geblieben wäre, kam erst 20 Minuten nach Beginn der Sitzung ins Parlament. Klaus Landowsky, der tief gefallene Oberstrippenzieher der Berliner Landespolitik, ersparte sich die Aufzählung der verdienten Parlamentsaussteiger. Ihn rechnet man nämlich nicht mehr dazu. Tapfer gibt sich der Gefallene auf den Gängen des Parlamentes gegenüber Journalisten. Ob er betrübt über seinen Abgang sei? „Aber nein“, versichert Landowsky. Die wichtigen Schlachten seien doch geschlagen. Die Mauer sei gefallen. Die Stadt vereinigt. Zur Hauptstadt geworden. „Die Zeit der historischen Probleme ist vorbei – jetzt kommt der Alltag“, spricht Landowsky und meint, dies könnten auch kleinere Geister als er übernehmen.

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