: Fjord auf ewig
Emanzipation verfehlt: Sandra Strunz inszeniert Ibsens „Frau vom Meer“ im Malersaal ■ Von Petra Schellen
Ein Stück, das sich von seinem Schluss her definiert, ist immer problematisch. Das ist schon bei Henrik Ibsens Fassung der Frau vom Meer so. Und erst recht bei Sandra Strunz' Inszenierung im Schauspielhaus-Malersaal. Denn so ganz wusste man vorher nicht, wie sie sich entscheiden würde: ob Protagonistin Ellida ihrer Ehe entfliehen oder bleiben sollte. Ein bisschen ausgeliefert war man also, stetig bemüht, dem Fortgang der Handlung Indizien für den Schlussakkord zu entnehmen.
Doch real gezeigt wurde eher ein leicht tragisches Märchen mit bunten Bildern und Ideen (Alter Ego gleich Zwillings-Chimäre; Kommunikations-Leck gleich Ballspiel-Übersprungshandlung; Meermaid-Fluchtort gleich Riesenbassin). Dazu: eine sich von ihrem Mann wegsehnende Ellida (erstklassig: Wiebke Puls), deren Tonartwechsel vom piepsigen Kleinmädchengefistel zum sonoren Erwachsenentimbre in Sekundenschnelle gelangen.
Dennoch, reduziert bleibt die Figur, die keinen Gegenentwurf zum beengten Gattinnendasein am Fjord bietet: Die Flucht mit einem rätselhaft-dämonischen, seit langem verschollenen Ex-Geliebten schwebt ihr vor, ohne dass sie alternative Lebensentwürfe formulieren könnte. Aus der Vergangenheit holt sie stattdessen Personal und Stoff, aus denen sie die Zukunft spinnen will. Als Deus ex Machina soll dabei der Geliebte fungieren, wenn er sie dereinst holt, um sie ihrem „Ur-Element“, dem Wasser, zuzuführen. Denn dass sie eigentlich in eine andere Community gehört, glaubt Ellida deutlich zu spüren – sie, die wie eine wabbelige Gummipuppe oder ein verirrtes Insekt zwischen Ehemann Wangel (Bernd Moss), seinen Töchtern aus ersten Ehen, dem Künstler Lyngstrand und dem Lehrer Arnholm umhertappt. Als im falschen Leben Gestrandete empfindet sie sich, die nur in ihrer Forderung an Wangel, sie freizugeben, unbeugsam ist.
Den Rest der Zeit verbringt sie mit Verschrecktsein und Schwimmen – ein totaler Kontrast zum pragmatischen Wangel, der sich zwar manchmal sorgt, Konflikte aber ansonsten lieber im Alkohol ertränkt. Woran die Kommunikation krankt – niemand kann es sagen, auch Ellida nicht, die nicht mit Wangel ans Meer umziehen will, weil sie nicht glaubt, dass das hilft. Die „Abgründe in ihrer Seele“ sind ihr selbst ein Rätsel; das Einzige, was sie spürt, ist die Macht des Fremden, die sie willenlos macht.
So weit, so märchenhaft. Doch wo ist sie, die anno 2001 (wenigs-tens auf dem Theater) zu erwartende emanzipierte Frau, die ihren Weg wählt, ohne Männer über ihr Schicksal bestimmen zu lassen? Und wie kommt es, dass Ellida auch bei Sandra Strunz in der Opferhaltung verharrt, ohne zu bemerken, dass auch sie in der bekrittelten Familie keinerlei Kommunikationsleistung erbringt? Will Sandra Strunz hier ein antiquiertes Frauenbild vorführen, als Reminiszenz an üblere Zeiten? Oder den Typus der ewig verkannten, sich selbst findenden modernen West-Luxusfrau vorführen, die niemals handelt?
Möglich wärs, denn Ellida tut genau das: Sie spinnt sich ein in ihrer Idee vom Anderssein, gibt die Verantwortung für ihre Befindlichkeit ab und glaubt allen Ernstes, der Entscheidung „Ehe oder Trennung“ gewachsen zu sein. Ein grober Irrtum – so surreal wie Strunz' Zwillinge, die als Traumbilder mit dem Fremden kommen. Ein groteskes Spiel – wie die lemurenartig ums Haus krauchenden Wangel-Töchter; Hieronymus Bosch lässt grüßen. Pittoresk viel Mühe geben sich auch Lyngstrand (Troll-artig irr: Ben Daniel Jöhnk) und Arnholt (maximal gönnerhaft: Martin Pawlowsky), außer Machotum und Depressivität keine markanten Charakteristika zu entwickeln.
Was aber bleibt von diesem Stück, in dem Frauen aus materieller Verzweiflung heiraten und sich nicht einmal lösen können, wenn sich die Chance bietet? Eine hoffnungslos unemanzipierete Ellida, die regrediert und selbst nicht weiß, warum sie letztlich bleibt? Oder soll hier die Erkenntnis transportiert werden, dass Freiheitsstreben am besten im Biotop „Enge“ gedeiht, die reale Entscheidung aber nicht überlebt? Soll vorgeführt werden, dass die zuvor auf Flucht gerichteten Energien verpuffen, sobald sie sich in Handlung entladen könnten? Mag alles sein. Ob man deswegen aber ausgerechnet Ibsens Text hätte bemühen müssen?
nächste Vorstellungen: 1., 14.10., 20 Uhr, Malersaal
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen