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Modische Konsumverweigerung

Pop ohne Sub: „Aufsicht“, eine Werkschau Wolfgang Tillmans in den Deichtorhallen  ■ Von Maria Benning

„Es könnte viel bedeuten“, singen Blumfeld, und so geht es auch bei den in Hamburg ausgestellten Bildern von Wolfgang Tillmans: Sie könnten eine Geschichte erzählen. Ebenso gut könnten die Personen auf den Fotos aber auch einfach nur Posen einnehmen oder Rituale durchspielen, von denen sie glauben, dass sie ihrer Selbstverwirklichung förderlich sind. Es ist die Generation der Pan-30jährigen, der älter gewordenen Jugendlichen, die sich da räkelt, reckt und streckt.

Männer und Frauen sitzen auf Bäumen oder stehen Schlange vor einem Club. Gestik und Mimik der Menschen drücken gepflegte Langeweile aus. Gleichzeitig scheinen alle gespannt auf etwas zu warten. Eine Stimmung wie beim Schulausflug in eine abgelegene Jugendherberge – es passiert rein gar nichts. Es könnte aber jederzeit alles passieren. Gewitterschwere Himmel und Regenbogen unterstreichen diese lauernde Gefühlswetterlage.

Aufsicht hat Tillmans seine Werkschau in den Deichtorhallen betitelt. View From Above heißt es auf Englisch. Trotz ihrer theatralischen Gesten verbreiten die Figuren wenig Glamour um sich. Die Gesichter sind ungeschminkt, und kaum einmal stehen sie im Rampen- oder Sonnenlicht. Ein ums andere Mal erinnern die auf wenige Millimeter Haarlänge kurz geschorenen Köpfe sogar an den verwirrten Helden aus dem amerikanischen Vietnam-Film Birdy.

33 Jahre alt ist Wolfgang Tillmans. Und doch hat er sich schon einen Namen gemacht in der Kunstszene. Seit seine Bilder Anfang der 90er Jahre im iD-Magazin erschienen, ist Tillmans zu einem bedeutenden Künstler geworden. Inzwischen sind seine Arbeiten in Galerien, Zeitschriften und Museen in der ganzen Welt zu sehen. Seit er im letzten Jahr in London den begehrten Turner Preis erhielt, ist er sogar richtig prominent. MTV, Modezeitschriften und die Werbung kopieren seine Bildsprache. Tillmans ist mittlerweile Gastprofessor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg.

Es habe ihn gestört, auf bestimmte Motive reduziert zu werden, erzählte der Künstler während der Ausstellungseröffnung am vergangenen Donnerstag. Um die Erwartungen zu enttäuschen, hat er sich in seinen neueren Arbeiten abstrakten Motiven zugewandt. Seit 1990 hat Tillmans aufbewahrt, was viele wegwerfen: Bilder, deren Farbdruck in der Dunkelkammer verunglückte. Von diesen Dark-room-Unfällen sind einige in Hamburg ausgestellt. Die Motive sind von psychedelischer Farbigkeit und ähneln dem Dekor von poppigem Geschenkpapier. Nicht alle abstrakten Bilder sind Zufallsprodukte. Manches ist auch absichtlich durch Lichteinflüsse manipuliert. Dadurch sind Effekte wie Brandflecken oder Farbkleckse entstanden.

Tillmans Stillleben zeigen achtlos gedeckte Tische, volle Weingläser und leere Tupperdosen. Es würde sich wohl eine gewisse Langeweile beim Betrachter einstellen, wären da nicht hier und da provokative Motive eingestreut. „AA Breakfast“ aus dem Jahre 1995 ist solch ein irritierendes Bild: Es zeigt ein Frühstückstablett mit einem Penis davor. Das Gesicht des Mannes sieht man nicht. Auch das Gesicht, das zum Bauch der schwangeren Frau gehört, lernt der Betrachter nicht kennen. So wenig individuell wie diese Figuren sind auch Tillmans Landschaften: namenlose westliche Städte mit tristen, auswechselbaren Silhouetten.

Die Ausstellung ist eine Art Bild-Tagebuch: Der Betrachter lernt Freunde und Alltagsmomente aus dem Umfeld des in London lebenden Künstlers kennen. Immer wieder taucht auch Tillmans selbst auf. Die Hängung der Bilder erinnert an die Wände von Jugendzimmern: Ohne Rahmen wie mit Stecknadeln oder Klebestreifen angeheftet, hängen kleine und große Fotos scheinbar wahllos neben- und übereinander. Dazwischen finden sich Text- und Bildausschnitte aus Magazinen.

Eine Bildersequenz zeigt eine Ratte, die inmitten schwarz-glänzender Plastik-Müllbeutel herumkriecht. Auf dem nächsten Bild ist sie im Begriff, in die Kanalisation zu verschwinden. Mitunter sind im Hintergrund der fotografierten Szenerie Plakatfetzen zu sehen. Von Wut und Widerstand ist da die Rede. Doch längst scheint der Aufruhr kommerziell vereinnahmt. Hier geht es um eine modische Konsumverweigerung – um Pop ohne Sub. Tillmans zeigt die Welt als Schlaraffenland der permanenten Selbstfindung.

Di–So 11–18 Uhr, Deichtorhallen; noch bis 13.1.02

Katalog im Hatje Cantz Verlag, 204 S., 126 Farbabb., 39 Mark

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