bücher für randgruppen
: Kulturhistorische Streifzüge durch den Haarirrsinn

Wir Wasseraffen

Tiere haben Federn oder Fell und sie fressen. Menschen kämmen Haare und sie essen. Das ist Kultur. An Beispiel des Haares zieht die dänische Autorin Nina Bolt eine Kulturgeschichte unser verbliebenen Fellreste auf.

Doch wann verloren wir unser Fell? Eine neue Theorie, genannt Allometrie, behauptet, dass der Mensch sozusagen ein alternatives Kühlsystem entwickelte, nämlich die Schweißabsonderung, die es ihm erlaubte, sich der Behaarung ganz zu entledigen. Übrig blieben Haarinseln, auf denen sich jeweils Filz- und Kopfläuse zurückzogen. Jede Laus auf eigenem Territorium, ein biogeografisches Inseldasein. Nach der menschlichen Urlaus, dem gemeinsamen Vorfahr beider Arten, zu suchen, hieße dann im Urhaar oder Fell des Urmenschen zu wühlen.

Die Wasseraffentheorie, nach der sich das Fell zurückbildete, weil sich der Mensch aufgrund zunehmenden Nahrungsmangels in der Hitze des Pliozäns auf Meeresfrüchte spezialisierte und zum Schwimmer wurde, ist interessant, gleichwohl heftig umstritten. Immerhin unterstützt die auffällig stromlinienförmige Behaarung diesen schönen Ansatz. Da der Kopf aus dem Wasser ragte, wäre demnach das Kopfhaar so etwas wie ein Sonnenstrahlschutz, lange Haare zudem als Haltetau für das Junge im Wasser hervorragend geeignet. Die freundschaftliche gegenseitige Körperpflege, wie sie von den Affen bekannt ist, wurde durch ebenso höfliche verbale Äußerungen ersetzt.

Frisiersalons sind demzufolge die Antwort auf die entstandene Lücke und bilden den Rahmen, in der die uralten Bedürfnisse gestillt werden können. Kein Wunder, dass da die Tugendwächter nicht weit waren. Eine Locke, die kess über die linke Schulter geworfen war, die französische cadenette oder englische lovelock, führte zu Widerstand. Es wurde sogar ein Buch über das Abstoßende dieser Locken geschrieben. Ein braver Mensch namens William Pryne seufzte da: „Ach, ist es nicht bei vielen Engländern, die als fromme Christen gelten, so, dass ihre Friseure ihre eigentlichen Priester sind? Und die Friseursalons sind ihre Kirchen.“

Neben diesen munteren Streifzügen in die Geschichte des Kulturkampfes um das Haar vergisst Autorin Bolt nicht, Mechanismen aufzuzeigen, durch die sozusagen mit Hilfe von Schönheitsmythen und Lockenstab der Kampf der Frauen um gleiche Rechte zurechtgebogen wird. Das Rasieren von Achsel- und Beinhaaren sowie das Zupfen der Augenbrauen sind bekannte Beispiele der Haarentfernung am weiblichen Körper. Üppig dagegen nehmen sich die Bärenhauben der englischen Leibwache aus, die ganz im Sinne Freuds für die männliche Haarmähne stünden, also für sexuelle Dominanz. Gleich fallen mir da die extravaganten Hochfrisuren der Schauspielerin Elisabeth Taylor ein, die ja bereits achtmal unglücklich verheiratet war. Insignien einer Domina? Oder wofür steht überhaupt der Höhepunkt des Perückenwahnsinns im 18. Jahrhundert, als die Haare derart aufgetürmt wurden, dass die Damen in kauernder Stellung ihre Kutschfahrten unternehmen mussten und irgendwann sogar Sprungfedern in die Frisuren eingebaut wurden, um sie zusammenklappen zu können?

Das Haarbuch ist amüsant und kurzweilig und entbehrt nicht eines gelegentlich aufblitzenden trockenen Humors der Autorin. Es ist ein kleines hübsches Mitbringsel auf leider wohl bald gilbendem Papier. Ich wünschte mir allerdings eine erweiterte Ausgabe, gebunden und mit ausführlichem Register versehen, auf schönem Papier gesetzt, so aufwendig gestaltet wie die Perücke von Marlene Dietrich auf Seite 43. Also: Wo bleibt die Edelausgabe für das Wartezimmer beim Friseur? WOLFGANG MÜLLER

Nina Bolt: „Haare“. Bastei-Lübbe, Bergisch-Gladbach 2001, 250 Seiten,15,80 DM