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ISLAMISMUS: KAMPF GEGEN RECHTSEXTREMISMUS SOLLTE VORBILD SEINGefährliche Unfreiheit des Denkens

Rechtsradikalismus und Islamismus haben vieles gemeinsam. Beide sind Ideologien der Ungleichheit, beide sind Reaktionen auf den globalisierten Kapitalismus, beide schließen Gewalt zum Erreichen der politischen Ziele nicht aus. Trotz aller Gemeinsamkeiten wurde bis zum 11. September auf diese Formen des politischen Extremismus in Deutschland unterschiedlich reagiert. Während sich die Öffentlichkeit seit zehn Jahren gründlich mit den gesellschaftspolitischen Hintergründen der rechtsextremen Akteure auseinander setzt, blieb die Beschäftigung mit dem islamisch motivierten Radikalismus ein Randthema. Das mag vordergründig daran liegen, dass Rechtsextremismus ein Problem der Mehrheitsgesellschaft ist, der Islamismus dagegen nur eine Ideologie, der lediglich eine Minderheit unter der Minderheit der Muslime anhängt.

Seit dem 11. September wurde der Gesellschaft schlagartig bewusst, dass ihre Fundamente nicht nur durch Alt- und Neonazis in Frage gestellt werden, sondern auch durch islamistische Demagogen und Aktivisten. Und erschreckt nimmt die Öffentlichkeit zur Kenntnis: Strategien des politischen Islam sind nicht nur eine Angelegenheit islamischer Gesellschaften, sie spielen auch in Frankreich, Großbritannien und in Deutschland eine wichtige Rolle.

Diese für viele Bürger neue Wahrnehmung ihres Umfeldes müsste nicht beunruhigen, schließlich ist der Mensch selten ein terroristisches, aber meist ein politisches Wesen. Und weil das so ist, gehört die Erweiterung politischer Weltbilder um die Facette des politischen Islam zum normalen Verlauf von Einwanderungsgesellschaften. Ebenso wenig sollte die Existenz politischer Extreme, egal ob sie rechtsextremistisch oder islamistisch begründet sind, in einer antagonistischen Gesellschaft überraschen. Antagonismen erzeugen nun mal Polarisierung und Radikalisierung. Gleichzeitig erträgt eine funktionierende Demokratie durchaus Ideologien und soziale Bewegungen, die auf ihre Abschaffung und Zerstörung zielen.

Das alles heißt natürlich nicht, sich in falscher Sicherheit zu wiegen und Radikalisierungen tatenlos zuzusehen, wie das Beispiel Rechtsextremismus zeigt. Lange Jahre hatte die politische Mitte die Mobilisierungsfähigkeit der extremen Rechten unterschätzt. Erst als die Gewalt vor zehn Jahren eskalierte und sich seither auf hohem Niveau bewegt, entstanden landauf, landab zahlreiche Initiativen und Programme, die den Einfluss der extremen Rechten zurückdrängen sollen. Gleichzeitig wurden in Dutzenden von Studien Organisationen, Biografien und die gesellschaftspolitischen Hintergründe der Akteure erforscht. Sie sind unerlässliche Arbeitsgrundlage für eine wirkungsvolle Bekämpfung des Rechtsradikalismus. Denn wer, wie in der Vergangenheit häufig geschehen, entweder wegschaut oder lediglich „Der Schoß ist fruchtbar noch!“ zu rufen vermag, der hat die Auseinandersetzung bereits verloren. Dem bleibt, wenn die Situation außer Kontrolle gerät, nur der Ruf nach Repression.

Erst differenzierte Analysen, die den inneren Zusammenhang und gleichzeitig die Verschiedenheit zwischen dem Rechtspopulisten Schill, dem Faschisten Horst Mahler und terroristischen Kameradschaften herzustellen wissen, ermöglichen abgestufte Gegenstrategien. Sie garantieren am ehesten den Erfolg und machen massive Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten wie die Rasterfahndung weitgehend überflüssig.

In der Auseinandersetzung mit dem politischen Islam ist man noch weit von diesen Standards entfernt. Nun rächen sich Tabus, die sich die Öffentlichkeit bei diesem Thema auferlegte. ReligionswissenschaftlerInnen, die über das schillernde Universum des politischen Islam aufklären wollten, wurden in der Debatte marginalisiert. Bereits das Erkenntnisinteresse geriet in den Verdacht, Islamfeindlichkeit zu befördern. Und Versuche, die Instrumentarien der Rechtsextremismusforschung auf das Untersuchungsfeld Islamismus anzuwenden, wurden jahrelang bekämpft. Erinnert sei hier an die emotionalisierte Debatte, die im Anschluss an die Veröffentlichung der Studie „Verlockender Fundamentalismus“ des Sozialwissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer geführt wurde.

Die Folgen der Versäumnisse: Die Öffentlichkeit weiß zu wenig über Inhalte, Struktur, Organisationen und Differenzen innerhalb der politischen Islam, seine Nähe, Distanz und Abgrenzung zum Terrorismus. Ein idealer Nährboden für Ängste und Vorurteile. Ideale Bedingungen für innenpolitische Hardliner. EBERHARD SEIDEL

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