: Aus dem Tagebuch eines Zeitreisenden
The New Sound of Munich: Die Merricks rollen wieder einmal den funkelnden Discoteppich aus, nur diesmal von Schwabing bis weit nach Siebenbürgen. Ihr Album „Silver Disc“ kreuzt auf unangestrengte Weise pumpende Retro-Beats mit angetrunkenen Bläserfanfaren und rumänischen Kinderchören
von PINKY ROSE
Eine Handvoll Leute, die keiner Szene angehören, aber eine Platte machen mit dem Titel „The Sound Of Munich“. Und damit 1997 ins Schwarze treffen: Die Merricks betrachten das Münchner Nachtleben und die Discomusik mit derselben uneitlen Oberservierungsleidenschaft wie den Pop amerikanischer Sixties-Labels. Ob Herb Alpert oder Seventies-Munich-Disco – sie folgen ihren persönlichen Retro-Spleens ohne Geschichtsokkultismus. Obskures und Fantasie-Exotik à la Martin Denny sind den Merricks Passion und nicht Mission. Ihre Musik erinnert an Tagebuchnotizen eines Zeitreisenden, der ein bisschen wirr im Kopf ist. Ihr Kenntnisreichtum, das Wissen um (und der Einsatz von) Zitat und Sample, werden zerstreut von entfesseltem Instrumentenspiel und kuriosem Selbstgesungenem. Jenseits musikalischer Generationenfolgen verführen ihre echten und erträumten Déja-vùs zu lustvoll selektiven Perspektiven.
Ähnlich wie ihre „große Schwester“, die befreundete Münchner Band FSK, ließen sich die Merricks schon immer von musikalischen Phänomenen berühren, die ihnen kein Zeitgeist angetragen hat. Doch am Ende stimmte die Formulierung und passte auf sich gerade neu konstituierende Begriffe wie etwa Easy Listening.
Mit einem prächtigen Orchestertusch beginnt dann auch das neue Album „Silver Disc“ und wieder wird stampfend und unter schmissigen Bläserfanfaren der Discoteppich ausgerollt. Drüber latschen als Gäste Family Of God, deren Gerappe von fies dröhnenden Seventies-Keyboardriffs niedergerungen wird, und ein paar Steel Drums.
In dem babylonischen Gewirr stellt Sängerin Marion Dimbath mit „Dumm sein gar nicht dumm“ einen Bezug her zu neudeutscher Slam-Poetry und altem NDW-Dada, bevor sie im rumänisch gesungenen Duett mit dem Siebenbürgener Sänger und Gitarristen Günther Gottschling auf der „Fete Din Sighisoara“ dahinschmilzt.
Raus mit der Disco aus Schwabylon – „Burn Munich Down“ gurren die Feiernden angetrunken in Track Nr.10 – und rein damit ins rumänische Dorf? So wie die Saxofonsektion bläst, sind sich hier Fete und Trauermarsch sehr nahe – wunderbarer „fremder“ Pop, schwermütig, schwülstig, melodramatisch, mit Einblendungen von rückwärts laufenden rumänischen Kinder- und Kirchenchorgesängen. In „Angela“ entwickelt Gottschling aus seinem Bardengesang einen schrägen Latin Lover, darauf verweisend, dass das Rumänische eben nicht, wie man sich gerne irrt, slawischen, sondern romanischen Ursprungs ist.
Die Merricks sind eine bunte Familie mit wechselnden Mitgliedern, im Radiogeschäft von Bernd Hartwichs Eltern befindet sich das Studio. „Silver Disc“ ist eine reine Studioproduktion der ansonsten seit vielen Platten gerade für ihre unverwechselbaren Live-Auftritte bewunderten Combo, umso prägender diesmal der Gesang von Marion Dimbath. „Wie eine französische Schauspielerin, so unangestrengt und in sich verloren“, schwärmte Bernd Hartwich schon 1997 zu Recht, von dem Refrain „Lieber kleiner Prinz, lache doch, mein Schatz“ können die Quarks oder Barbara Morgenstern nur träumen.
Bei allem Temperament, druckvollem Spiel und rhythmischem Schub eine sehr introvertierte melancholische kleine Welt für sich allein, in der vieles so lebendig wirkt und doch nicht lebensfähig wäre, in sich zusammenfallend wie in den kurzen tapsigen oder schmerzlich abschmierenden Instrumentalintermezzi „Musicescu“ und „The End Of The Silver Disc“. Die Exklusivität der Merricks-Welt ist dabei so einnehmend unbefangen wie das letzte Stück der CD. Ein sanftes Summen, ein einziger unfertiger Satz: „Die Innere Revolution“ – immer wieder beschwörend zart wiederholt – während die Disco-Beats pumpen und Orchesterstimmen wie aus einem rumänischen Kinderfilm crescendo zum dramatisch-komischen Fiasko anwachsen.
Merricks: „Silver Disc“ (SubUp/EFA)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen