Affront gegen Arafat

Radikale Palästinenser überfallen eine Siedlung im Gaza-Streifen. Zwei Anschläge in 48 Stunden sollen ein Ende der Waffenruhe provozieren

JERUSALEM taz ■ Bei einem Überfall radikaler Palästinenser auf die jüdische Siedlung Elei Sinai im nördlichen Gaza-Streifen sind am Dienstag abend zwei junge Israelis getötet und 15 Menschen teilweise schwer verletzt worden, bevor die beiden Infiltranten erschossen wurden. Acht der Verletzten sind Soldaten, sieben sind Zivilisten, darunter zwei drei- und vierjährige Kinder. Die beiden Attentäter waren ungehindert in die Siedlung eingedrungen und hatten ein Haus besetzt, aus dem sie das Feuer auf Passanten eröffneten. Die Armee wird sich mit Vorwürfen beschäftigen müssen, die Siedlung nicht ausreichend geschützt zu haben, nachdem es Warnungen vor dem Eindringen von Attentätern in Siedlungen gegeben hatte.

Die israelische Regierung unter Ministerpräsident Ariel Scharon gab der Armee „freie Hand im Kampf gegen den Terror“. Damit kehrte sie zu der vor zwei Wochen herrschenden Befehlslage zurück, ehe eine Waffenruhe ausgerufen wurde. Alle Erleichterungen in den Palästinenser-Gebieten wurden rückgängig gemacht, auch die Politik der gezielten Liquidierungen soll wieder aufgenommen werden. Die Armee besetzte einen kilometerbreiten Streifen palästinensisch- autonomen Gebiets rund um Elei Sinai und zerstörte mehrere Gebäude einer palästinensischen Polizeistation. Sechs Palästinenser wurden dabei von Panzergranaten getötet. Zu dem Anschlag auf Elei Sinai bekannte sich die islamistische Hamas-Organisation.

In diesem Angriff und einem vom Islamischen Dschihad am Montag begangenen Anschlag in Jerusalem wird eine deutliche Provokation von Palästinenserführer Jassir Arafat gesehen. Mit derartigen Aktionen wollen die radikalen Kräfte unter den Palästinensern die von ihm ausgerufene Waffenruhe zu Fall bringen und ihn selbst in Mißkredit bringen. Ein am Sonntag von der israelischen Regierung gestelltes 48-stündiges Ultimatum gegenüber Arafat wurde damit gezielt infrage gestellt. Deshalb hat die Palästinenserbehörde sich umgehend von den Anschlägen distanziert und den Opfern ihr Bedauern ausgesprochen.

Am Montag war in Bethlehem bereits der Kommandant der örtlichen Tansim-Miliz, Atef Abajat, demonstrativ verhaftet worden. Israel macht ihn für die Ermordung der Siedlerin Sarit Amrani vor zwei Wochen verantwortlich und hatte seine Festnahme gefordert. Von israelischer Seite wurde am Mittwoch behauptet, Abajat sei wieder freigelassen worden. Überdies gäbe es Hinweise darauf, daß die beiden Hamas-Infiltranten von der „Vorbeugenden Sicherheitstruppe“ von Mohammed Dahlan, einer Organisation der Palästinenserbehörde in Gaza, trainiert worden seien.

Es war zweifellos in Arafats Interesse, die Waffenruhe einzuhalten und sowohl Israel als auch den USA zu beweisen, daß er sowohl in Kontrolle als auch glaubwürdig ist. Es war ihm vergangene Woche gelungen, mit Außenminister Schimon Peres in Gaza zu konferieren, obwohl weiter geschossen wurde. Arafat konnte Peres das Versprechen entlocken, vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erneuerung des politischen Dialogs führen sollten. Noch am Dienstag hatte George W. Bush als erster republikanischer Präsident verkündet, die USA unterstützten die Gründung eines palästinensischen Staates als „Teil einer Vision“, solange auch Israels Existenzrecht respektiert werde.

Arafat tut sich offenbar schwer, gegen die Opponenten im eigenen Lager durchzugreifen, ohne einen frontalen Zusammenstoß mit den radikalen Islamisten zu riskieren. Gleichzeitig hat auch Scharon ein Problem, seine zerstrittene Koalition zusammenzuhalten. Während die Arbeitspartei nur im Dialog mit der Palästinenserbehörde eine Chance sieht, träumt das Rechtsaußen-Lager, bar jeglicher realistischer politischer Vorschläge, von ihrer Zerschlagung und Vertreibung. ANNE PONGER