Tagung
: Ethik der Peitzger

■ Ist biologische Vielfalt schützenswert, auch wenn sie menschengemacht ist?

Am Tag der deutschen Einheit über Vielfalt reden und dann noch nicht einmal einer Meinung sein. Darf man sowas? Wer zur Spezies der Naturforscher und -forscherinnen gehört, darf das. Erst recht auf einem Symposium zu Biodiversität und Landschaftsnutzung, das die alt-erwührdige Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina noch bis einschließlich heute im Bremer Hotel Atlantic veranstaltet.

Biodiversität heißt nicht, dass diverse Biologen sich nicht einigen können. Im Kern geht es dabei um Artenvielfalt, die genetische Variabilität innerhalb einer Art und die Vielfalt von Ökosys-temen. Das Thema bietet durchaus einigen Zündstoff: Schließlich wurde, seit die Ökologiebewegung in den siebziger Jahren auszog, um Flora und Fauna zu verteidigen, die zunehmend industrialisierte Landwirtschaft als Hauptverursacher des Artensterbens angeklagt. Dünger, Pestizide und umfassende Flurbereinigungen sorgten tatsächlich dafür, dass eine Reihe von Arten von der Bildfläche verschwanden.

Meist übersahen die Umweltfreunde aber, dass ein Teil der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt erst mit der Nutzung der Natur durch den Menschen entstanden oder heimisch geworden war – nicht etwa die Milka-Kuh, sondern so genannte Kulturfolger oder Züchtungen. Prof. Annette Otte von der Universität Giessen etwa verwies darauf, dass ein Drittel der etwa 3.300 Pflanzenarten in Deutschland ihr freudiges Wachstum der Veränderung der Landschaft verdanken, seit sich vor rund 7.000 Jahren homo sapiens dazu aufmachte, auch in Mitteleuropa zu siedeln.

Ein ketzerisch veranlagter Zeitgenosse könnte gegen die Naturforscher einwenden, dass die Menschen die Artenvielfalt ja nicht aufrecht erhalten müss-ten, wenn diese zum Teil erst durch den menschlichen Eingriff in die Natur entstanden sei. Gegen eine derartige Sichtweise führte Annette Otte, die in Bremen die Flora und Fauna des Golfplatzes „Zur Vahr“ untersucht, ästhetische Argumente ins Feld: Auf den Anblick einer Kornblume möchte sie nicht verzichten.

Warum aber sollte man, sagen wir, den Schlammpeitzger in den Fleeten des Hollerlandes schützen? Denn der ist nicht nur hässlich (so meint zumindest unser Autor, die Red.), dieses heimliche Fischchen bekommt das nicht-naturforschende Volk auch niemals zu Gesicht. Für solche Fälle greift Armin Werner vom Institut für Landnutzungssysteme lieber auf eine ethische Begründung für die Biodiversität zurück, „denn wir wollen Dinge auch haben, nicht nur weil sie nützlich sind.“

Neben der in der Ökologiebewegung populären Überzeugung, das ein „natürliches“ Artenspektrum reichhaltiger sei als das Mosaik von Landschaften, das durch die traditionelle Landwirtschaft erzeugt wurde, erschütterten die Wissenschaftler auch die Ansicht, dass eine Vielfalt von Arten unabdingbar sei für die Stabilität von Ökosystemen oder, dass nur die Vernetzung von Biotopen den Erhalt einer Population sichern könne.

Biodiversität sei weniger eine Frage des menschlichen Überlebens – dazu bedürfe es nur hundert Arten – als eine ethische Zielvorgabe, die mit den konkurrierenden Ansprüchen an einer Nutzung der Natur zu vereinbaren sei – so ein Fazit der Veranstaltung. Um Gedeih und Verderb der europäischen Landschaften einvernehmlich zu regeln, erörtern die Tagungsteilnehmer nun, wie der ökologische Landbau gefördert werden kann oder auf welchem Weg Bauern, die sich auch der Vielfalt von Hase, Igel und Konsorten widmen, durch die Umwidmung von EU-Agrarsubventionen unterstützt werden können.

Peter Ringel