: Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer
Erstmals wird der Social Watch Report auf Deutsch vorgelegt. Organisationen beklagen zunehmende Armut in Deutschland. Überschuldung als Risiko
BERLIN taz ■ „Die“ Deutschen werden immer reicher – diese Aussage ist richtig, wenn man das Durchschnittseinkommen deutscher Haushalte betrachtet. Das Nettovermögen privater Haushalte wurde 1998 auf 8,2 bis 12,6 Billionen Mark geschätzt. Dieses Geld verteilt sich jedoch nicht gleichmäßig. Im Gegenteil – die Schere zwischen reichen und armen Haushalten wird immer größer.
Zu diesem Schluß kommt der „Social Watch Report 2001“, der gestern erstmals in einer deutschen Fassung in Berlin vorgestellt worden ist. Danach gibt es über 350.000 Personen, die ein Vermögen von mehr als einer Million Euro besitzen. Das bedeutet, dass 0,5 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung rund ein Viertel des gesamten Vermögens privater Haushalte hält, während sich 50 Prozent der Bevölkerung 4,5 Prozent des Gesamtvermögens teilen.
„Wir wollen mit unserer Studie nicht einfach eine weitere Datensammlung zur Armut in Deutschland vorstellen“, sagte Klaus Heidel, Mitautor und Sprecher des NRO-Forums gestern. Vielmehr gehe es darum aufzuzeigen, dass Armutsbekämpfung eine Querschnittsaufgabe sei, die sich auf viele Politikbereiche erstrecke. Dies zeigten auch die vielfältigen Formen von verdeckter Armut in Deutschland, die die Studie erwähne.
Das NRO-Forum kritisierte in diesem Zusammenhang den nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, den die Bundesregierung nach der Vorstellung des Armutsberichts erstellen will. Der Plan gehe nicht auf die Ausländer ein, die ohne gesicherten Aufenthaltsstatus keinen Rechtszugang hätten. So werde zum Beispiel das Arbeitsverbot für Asylbewerber nicht kritisch hinterfragt. „Alle, die nicht in den Arbeitsmarkt integriert sind, fallen bei dem jetztigen Konzept komplett raus“, so Heidel.
Auch Jürgen Gohde, Präsident des Diakonischen Werks, kritisierte Lücken in der deutschen Armutsbekämpfung, vor allem im sozialen Netz. Obdachlose seien chronisch unterversorgt, da sie nicht krankenversichert seien, und Demenzkranke, deren Zahl in den letzten Jahren ständig wachse, würden in der Pflegeversicherung benachteiligt. „Wir müssen bedenken, dass die Armutsbekämpfung eine Strategie ist, den sozialen Frieden zu erhalten“, mahnte Gohde.
Von Armut sind in Deutschland vor allem Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei Kindern betroffen. Neu ist vor allem die anwachsende Überschuldung von Haushalten. Im Jahr 1999 gab es 2,77 Millionen Überschuldungsfälle in Deutschland, das entspricht sieben Prozent der Privathaushalte. Mehr als 60 Prozent haben Schulden von über 20.000 Mark. In der NRO-Studie wird in diesem Zusammenhang auch auf die Realität der Konsumgesellschaft und die Verantwortung der Banken hingewiesen.
Das NRO-Forum ist 1995 nach dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen gegründet worden, um die Umsetzung der dort festgelegten Richtlinien zur Armutsbekämpfung zu beobachten. Weltweit gehören ihm mehr als 200 Nichtregierungsorganisationen an. SUSANNE AMANN
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