: Der Ehrliche ist der Dumme
Der Journalist Ulrich Wickert hat sich ein bisschen Meinungsfreiheit gegönnt. CDU und „Bild“-Zeitung fordern seine Absetzung
von EBERHARD SEIDEL
Ulrich Wickert ist kein Held. Das erwartet auch niemand von ihm. Schließlich hat er den Deutschen bereits viel gegeben: die Revolution der Wettervorhersage und bücherweise Moral für den Hausgebrauch. Aber so kleinmütig wie jetzt, nachdem er sich in der Illustrierten Max in Sachen George W. Bush und Ussama Bin Laden ein wenig Meinungsfreiheit gegönnt hat, sah man den eloquenten Mann noch nie.
Mittwochabend, 22 Uhr 49. Sichtlich zerknirscht verliest Wickert vor einem Millionenpublikum: „Ich vergleiche den Führer der freien Welt nicht mit dem Drahtzieher des internationalen Terrors. George Bush und Bin Laden sind nicht vergleichbar.“ Und weiter: „Ich nehme die Formulierung mit Bedauern zurück und entschuldige mich dafür.“
Armer Wickert. Erst stellt er in Max streitbare Überlegungen zu den Ereignissen rund um die Attentate vom 11. September an, die auch vielen taz-LeserInnen gut gefallen könnten. Ein Beispiel: „Der Westen hat die tiefere Ursache für die Terroranschläge, die von Intellektuellen und nicht von Unterprivilegierten begangen wurden, anscheinend noch nicht verstanden. [. . .] Sie zielten nicht auf die (ethischen) Werte des Westens, sondern auf dessen Überheblichkeit und Materialismus.“ Und nun kuscht er brav vor Bild und der CDU – und erklärt damit deren ersten Sieg an der Heimat- und Propagandafront.
Ungewollt verkündet Wickert via Tagesthemen die Botschaft: Im Krieg wird als erstes die Meinungsfreiheit abgeschafft. Wer trotzdem denkt, der wird verfemt. Die Minuten der Wickert-Erklärung sind eine Zäsur. Denn von nun an ist klar: Bild-Zeitung und CDU haben handstreichartig die Definitionsmacht darüber errungen, was nach den Attentaten vom 11. September im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gedacht und gesagt werden darf. Ein bisschen unqualifiziertes Genöle von CDU-Chefin Angela Merkel reichte, und die ARD nötigte Wickert zum Kotau. Offenbar ohne sich näher mit Wickerts Illustriertenbeitrag beschäftigt zu haben, diktierte die CDU-Chefin Angela Merkel der Bild-Zeitung: „Sollten die Äußerungen Wickerts zutreffen, dann ist er absolut nicht mehr tragbar als Nachrichtenmoderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.“ Und der CDU-Abgeordnete Friedbert Pflüger sekundierte pflichtbewußt: Wenn Wickert sich nicht entschuldige, „hat er auf dem Bildschirm nichts mehr zu suchen“. Außerdem müsse sich der NDR-Rundfunkrat mit den Äußerungen befassen.
Bild und CDU haben gesiegt. Wickert hat sich vorschnell für etwas entschuldigt, für was es keiner Entschuldigung bedarf. Denn Meinungsfreiheit bedeutet nicht nur das Recht, eine vermeintlich richtige Meinung äußern zu dürfen. Meinungsfreiheit bedeutet auch, sich irren zu dürfen, vermeintlich Falsches behaupten zu dürfen, vermeintlich Unlogisches und Absurdes schreiben zu dürfen.
„Die Denkstrukturen von George W. Bush und Ussama Bin Laden sind die gleichen“: Ein Sicherheitsrisiko ist nicht der, der einen solchen Satz schreibt – sondern der, der diese Aussage verbieten möchte. Pflüger und Merkel würden der Demokratie einen wirklichen Dienst erweisen, wenn sie sich bei Wickert für ihr eiferndes Bashing entschuldigen würden. Dazu wird es natürlich nicht kommen. Denn auch für sie gilt offenbar, was Ulrich Wickert in Max geschrieben hat: „Der Westen will seine Werte verteidigen, scheint sie aber immer weniger selbst zu kennen.“
Für die ARD scheint der Fall Wickert abgeschlossen. Gestern erklärte der NDR-Programmdirektor Jürgen Kellermeier in Hamburg: „Ulrich Wickert hat Unfug geschrieben. Er hat Fehler eingesehen und sich dafür, auch öffentlich, entschuldigt. Damit ist die Sache erledigt. Natürlich erwarten wir, dass sich derlei nicht wiederholt.“ Mit seiner Erklärung hat Kellermeier angekündigt, was die NDR-Berichterstattung in nächster Zukunft auszeichnen soll: Konformität. Schalten wir um.
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