: Das Scheitern als Chance
Nach dem kläglichen 0:0 gegen Finnland und der vorerst verpassten WM-Qualifikation hofft Torhüter Kahn, dass aus der Tretmühle der Relegation eine große Fußballmannschaft erwächst
aus Gelsenkirchen MATTI LIESKE
Die neue Arena AufSchalke ist nicht nur ein imposantes Bauwerk, sondern verfügt auch über eine beachtliche akustische Potenz. Dies kann dem Heimteam zum Vorteil gereichen, hat aber den unbestreitbaren Makel, dass Pfeifkonzerte hier besonders grell klingen. Dies mussten die deutschen Fußball-Nationalspieler erfahren, als der Schlusspfiff des WM-Qualifikationsspiels gegen Finnland ertönte und sie nur ein dürres 0:0 zustande gebracht hatten. Das Publikum pfiff aus voller Kehle, dies wohlgemerkt zu einem Zeitpunkt, als England in Manchester noch mit 1:2 gegen Griechenland zurücklag und das deutsche Team überraschend für die Weltmeisterschaft 2002 qualifiziert schien.
Vielleicht dachten die Zuschauer ja, was Torhüter Oliver Kahn später unnachahmlich süffisant so formulierte: „Hier in Schalke hofft man auf keine Wunder mehr.“ Wahrscheinlicher aber ist, dass ihnen der Auftritt der deutschen Mannschaft einfach grundlegend missfallen hatte, ganz unabhängig von David Beckhams Last-Minute-Tor zum 2:2, das England zur WM brachte und die DFB-Mannen in die Relegation gegen die Ukraine. Diesen Verdacht nährten nach dem Spiel zumindest die Äußerungen der Fans auf dem Weg zur Straßenbahn. Einhelliger Tenor: Mit der Leistung haben sie nichts besseres verdient.
Mit diesem vernichtenden Urteil unterschieden sich die zunächst fröhlich und lautstark in die Partie gegangenen Anhänger relativ drastisch von Teamchef Rudi Völler und seinen Spielern. Die klammerten sich, wie verängstigte Koalabären an ihren Eukalyptusstamm, allesamt an die etwas gelungenere zweite Halbzeit, welche, so Völler, „Hoffnung macht“ für die beiden kniffligen Partien im November gegen die Ukraine. „Jetzt geht‘s erst richtig los“, blickte Oliver Kahn, der Herausforderungen mehr liebt als leichte Siege, mit fast grimmiger Begeisterung in die Zukunft. „Glück habe man nur, wenn man es erzwinge“, wischte er in bewährter Bayern-Rhetorik jedes Hadern mit dem Schicksal vom Tisch, nun habe die Mannschaft „eine Riesenchance, an ihrer Aufgabe zu wachsen“.
Legt man die Partie gegen Finnland zugrunde, stellt sich allerdings die Frage, woher der nötige Dünger für das angestrebte Wachstum kommen soll. Furchtsam und ohne Selbsbewusstsein gingen die Spieler in die Partie, obwohl doch, da man von einem englischen Sieg gegen Griechenland ausgehen musste, kein Grund zu übermäßiger Verkrampftheit bestand. Auch das taktische Konzept sorgte für Verwunderung. War man gegen das offensive England mit relativ entblößter Abwehr ins Verderben gerannt, bekämpfte man nun den finnischen Einmannsturm Mikael Forssell mit einer massiven Viererkette, wodurch es weiter vorn an Personal fehlte, um das finnische Abwehrbollwerk in Schwierigkeiten zu bringen. Abwehrchef Jens Nowotny freute sich zwar diebisch, endlich mal wieder „hinten gut gestanden und zu null gespielt zu haben“, räumte aber ein, es sei „klar, dass man aus der Viererkette noch mehr für die Offensive tun muss“.
Den Schock des Englandspiels noch deutlich im Gebein, ersetzte dass deutsche Team schnelles Angriffsspiel durch Sicherheitspässe und kickte selbst diese, vor allem in Gestalt von Ballack, Ramelow und Bierhoff, häufig genug in Gegners Füße. Das Flügelspiel war inexistent, der sonst dafür zuständige Oliver Neuville stand meist so nah bei Oliver Bierhoff, dass es aussah, als wäre er nicht sein Vorlagengeber, sondern sein Bewacher. Und als dann in der zweiten Halbzeit die Konzentration der Finnen nachließ und sie mit gravierenden Schnitzern deutsche Großchancen zuließen, wurden diese nicht genutzt (siehe unten).
Signifikant für das Spiel der Völler-Elf war die Einwechslung des Schalkers Gerald Asamoah zur Pause. Der wirkte wie ein Fremdkörper im Team, weil da plötzlich einer war, der Vorwärtsdrang zeigte, der rannte, grätschte, Bälle erkämpfte und sich im Eins-gegen-eins durchsetzen konnte. Das war bis dahin lediglich Sebastian Deisler gelungen, der zwar das Mittelfeld nicht in dern Griff bekam, aber mit seinen Ballgewinnen mehrfach Sonderapplaus des Schalker Publikums einheimste und dank der Entlastung durch Asamoah sichtlich auflebte.
„Einsatz, Wille, Kreativität“ wollte Teamchef Völler in dieser Phase beobachtet haben, nur habe leider „das ominöse Tor“ gefehlt. Jenes Tor, das deutschen Mannschaften in der Vergangenheit so häufig vergönnt war und das diesmal die Engländer schossen. Bleibt in Hinblick auf die Spiele gegen die Ukraine zu hoffen, dass dieser Mangel an Fortune kein Menetekel, sondern doch nur der unheilvollen Schalke-Aura geschuldet war.
Deutschland: Kahn - Rehmer, Wörns, Nowotny, Ziege - Ramelow, Ballack, Böhme (46. Asamoah) - Deisler - Bierhoff, Neuville (76. Klose)Finnland: Niemi - Reini (79. Helin), Tihinen, Hyypiä, Saarinen - Riilahti, Litmanen, Tainio (83. Grönlund) - Nurmela, Forssell, Johansson (66. Kuqi)Zuschauer: 52.333
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