: Abschwellender Straßenslang
Zwischen Fluchen und Schnöseln: Kanak-Sprak ist Popliteratur geworden. Doch was wird aus deren Bannerträgern, wenn auch diese Mode verebbt?
von DANIEL BAX
Kanake ist kein nettes Wort. Vor ungefähr zwanzig Jahren kam es in Umlauf, auf Schulhöfen und auf der Straße, als Schmähwort für die Türken in Deutschland. Diese eigentliche Bedeutung hat sich im so genannten Volksmund bis heute erhalten, auch wenn mittlerweile ein paar neue Facetten dazugekommen sind.
Denn mancherorts hat der Begriff inzwischen den Beiklang einer Adelung, er wird von selbsterklärten Kanaken fast wie eine Auszeichnung gehandelt. Der Hintergrund ist schnell erklärt: Es waren junge Türken, die sich in den frühen 90ern in Gangs oder Rap-Gruppen zusammen fanden, die das Schimpfwort zur trotzigen Selbstbezeichnung umwidmeten, wie es vor ihnen schon viele andere getan haben, die sich ihrer Diskriminierung dialektisch zu erwehren wussten. Noch heute nennen sich manche US-Rapper gegenseitig „Nigger“, um ihre Außenseiterposition zu zeigen:ganz unten, aber mit Stolz.
Der Autor Feridun Zaimoglu war wohl der Erste, der das böse K-Wort im deutschen Feuilleton einführte. Sein Buch „Kanak Sprak“, das 1995 erschien und aus literarisch verfremdeten Gesprächsnotizen mit ausschließlich männlichen Deutschtürken bestand, vom Automechaniker bis zum Studenten, wurde von vielen Kritikern als Manifest einer jungen und selbstbewussten Migrantengeneration gelesen – durchaus im Sinne des Verfassers. Es folgten weitere Zaimoglu-Bücher, die inzwischen zu Kinodrehbüchern oder Theaterstoffen verarbeitet wurden und als Blaupause dienten für Anthologien, die eine neue deutsche, durch sprachliche Befruchtung bastardisierte Literatur feierten. Dass hier ein Hype am Köcheln war, konnte man spätestens im Frühjahr sehen, als der Eichborn-Verlag zwei Kanak-Sprachführer auf den Markt warf: Wörterbücher zum kreativen Sprüchebasteln im Stil der multikulturellen Straße. Voll krass.
Doch der Medien-Hype hat ein bisschen verdeckt, dass die so genannte Kanak-Literatur bis heute weitgehend eine One-Man-Show geblieben ist. Zwar schreiben in Deutschland eine ganze Menge Schriftsteller aus einer anderen Perspektive als der deutsche Durchschnittsliterat. Doch den Anspruch, damit für eine ganze Gruppe zu sprechen oder eine Minderheit zu repräsentieren, erheben sie nicht – sicher jedenfalls nicht in dem Maße, wie dies Feridun Zaimoglu stets von sich behauptet hat, der es sich gerne gefallen ließ, von anderen als „Sprachrohr“ oder, besser noch, als „Malcolm X der Türken“ bezeichnet zu werden. Und warum auch nicht? Ist schließlich nicht rufschädigend, sondern eher gut fürs Geschäft.
Ähnlich wie beim US-HipHop bezieht die so genannte Kanak-Literatur einen großen Teil ihrer Faszination daher, dass sie vermeintlich originalgetreue Geschichten aus dem Ghetto verspricht – von dort, wo das Leben noch wild und gefährlich ist und wahre Männer um Blut und Ehre kämpfen. Wahrscheinlich wird man Feridun Zaimoglu sogar am ehesten gerecht, wenn man in ihm den erfolgreichsten türkischen Rapper deutscher Zunge sieht: Er reimt zwar nicht über Rhythmen. Aber wer den Stakkato-Vortrag seiner Lesungen kennt, weiß, dass dies der Spoken Poetry sehr nahe kommt.
Es ist vor allem aber auch Fiktion. Und wie schon beim US-HipHop, stellen sich auch hier die Fragen nach „Authentizität“ und „Repräsentanz“. Wer spricht da eigentlich? Der autonome Künstler oder der Botschafter einer Bewegung? Die Geburt eines Kanaken-Movements, das diesen Anspruch gestützt hätte und vor einiger Zeit mit großem Trara aus der Taufe gehoben wurde, verlief leider nicht ohne Komplikationen und kam nie so recht über die reine Existenzerklärung hinaus. Dass „Kanak Attak“, der Verein, und Feridun Zaimoglu, dessen geistiger Ziehvater und einst eifrigster Propagandist, inzwischen getrennte Wege gehen, sagt eigentlich alles über die Kohärenz des Unternehmens aus. Die Internetseiten des Politprojekts und des Schriftstellers sind heute getrennt, aber nur einen Buchstaben voneinander entfernt: Kanak Attak, mal mit ck, mal ohne.
Den allermeisten Migranten der zweiten Generation sind die Wortklaubereien schlichtweg egal: Sie bezeichnen sich weiter lieber als „Türken“ oder „Kurden“ denn als „Kanaken“ – das Wort ist doch zu negativ konnotiert und taugt nicht als Ticket zur Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft. Dann schon besser die klaglose Assimilation.
Das gilt auch für Kanak-Literaten wie Feridun Zaimoglu. Sein Stellvertreteranspruch funktioniert vor allem dort, wo es eine Nachfrage gibt – überall dort also, wo man wissen möchte, wie junge Deutschtürken so ticken. Fragen wir doch den Zaimoglu, lautet die Devise im deutschen Feuilleton. Ein Außenseiter ist er dort längst nicht mehr: So hat er sich von der Spex zur Zeit hoch gearbeitet und als Zeitungsautor und gern gesehener Talkshowgast etabliert. Dort nimmt er zu aktuellen Fragen von Zuwanderung und Integration Stellung und gibt sich mehr und mehr staatstragend: ein Cem Özdemir des Feuilletons. Immerhin hat er es geschafft, dass die meisten Moderatoren inzwischen seinen Namen richtig auszusprechen vermögen.
Dass er ein Bedürfnis nach „Authentizität“ und „Repräsentanz“ bedient, ist ihm sehr wohl bewusst. Dabei ist seine Kanak-Literatur weit weniger „authentisch“ als das Gros der Popliteratur, denn im Gegensatz zu diesen Autoren seiner Generation erzählt Feridun Zaimoglu nur in seltenen Fällen von sich selbst, meist von anderen: Der Geschmack von Streetlife und Knastabenteuern ist lediglich geborgt. Gerade weil seine stilisierten Kanak-Chroniken aber eine sehr individuelle Kunstform sind, tragen sie kaum als Identifikationsfolie für andere. Der durchschnittliche Pennäler findet sich vermutlich eher wieder in den Abenteuern eines Stuckrad-Barre, der sein eigenes Leben abbildet und gerade deswegen von Gleichaltrigen als Geistesverwandter anerkannt wird, als dass sich Ali Normalverbraucher bei Feridun Zaimoglu wiedererkennt. Was jedoch beiden gemein ist, den Popliteraten wie ihren vermeintlichen Gegenspielern, den Kanak-Autoren: Sie sind gekonnte Selbstvermarkter, die ihre literarischen Produkte der Marktlage entsprechend entwerfen und modifizieren.
Angesichts der abebbenden Modewelle stehen die Kanak-Autoren nun allerdings am Scheideweg: Wollen sie weiter als ideale Generalvertreter des Ghettos gehandelt werden, das so, wie sie es in ihren Büchern manchmal zeichnen, vielleicht nur in der Vorstellungswelt der liberalen Mittelschicht existiert? Oder wollen sie als Schriftsteller ernst genommen werden, als autonome Persönlichkeiten? Es ist übrigens das gleiche Problem, das sich schon für die Gastarbeiterliteratur der 70er und 80er stellte.
Mit seinem Roman „Liebesmale, scharlachrot“, der im vergangenen Jahr erschien, unternahm Feridun Zaimoglu einen ersten Schritt, sich jenseits der reinen Kanaken-Rolle zu beweisen: ein fiktiver Briefwechsel zwischen zwei deutschtürkischen Halbwüchsigen, der ihm formal und stilistisch überraschend altmodisch geriet. Mit seinem neuen Buch „Kopf und Kragen“ hat er wieder eine halbe Rolle rückwärts gemacht: Das Werk will ein „Kanak-Kultur-Kompendium“ sein, verspricht der Titel. Ein Kompendium ist, laut Wörterbuch, „ein kurz gefasstes, aufs Wesentliche beschränkte Lehrbuch“. Nimmt man den Titel ernst, erwartet man also eine Art Kanaken-Knigge. Und wird enttäuscht.
Tatsächlich ist das Buch bloß ein Sammelband, der eine lose Zusammenstellung von Kurzgeschichten enthält, die bereits an anderer Stelle erschienen sind, in diversen Zeitungen und Zeitschriften. Einige sind besser, andere schwächer. Dazwischen finden sich fiktive Talkshow-Protokolle – satirisch gemeinte Gespräche, die ein Moderator namens Galaxy mit wechselnden Gästen führt, deren Fantasienamen in kaum verschlüsselter Weise auf Personen des öffentlichen Lebens deuten: auf schreibende Kollegen wie Wiglaf Droste, Franz Josef Wagner und Benjamin von Stuckrad-Barre zum Beispiel. Auf ähnliche Weise hat schon Stuckrad-Barre in seinem Buch „Blackbox“ versucht, seine Ankunft im Medienbetrieb zu verarbeiten.
Zaimoglu gehört heute fraglos dazu. Trotzdem hält er im Vorwort tapfer dem exklusiven „wir“ der Wohlstandsgeneration Golf das emphatische „wir“ des angeblichen Kellerkinds entgegen: „Ich spreche von tausend mal tausend Gastarbeiterhaushalten der ersten Stunde, ich spreche von den verschimmelten Arbeiterbaracken, von den Hinterhausbuchten und den Elendskabuffs, in denen wir groß geworden sind, wir – das sind die Zuwandererkinder.“ Gut gebrüllt, Türke! Doch der Weg vom Löwen zum Bettvorleger ist kurz. Ein wenig erinnert „Kopf und Kragen“ an einen Klamottenladen beim Sommerschlussverkauf, wo Restposten verramscht werden: Alles muss raus, bevor die Saison vorbei ist. Der Kanakenbonus hat sich verbraucht, bald ist etwas Neues gefragt.
Nachtrag: In den einschlägigen Kreisen in Kreuzberg ruft man sich übrigens längst nicht mehr „Kanake“. Neuerdings ist dort „Mufti“ en vogue. Das klingt netter und erfüllt doch den gleichen Zweck: Es verweist darauf, wie man von den anderen gesehen wird. Noch immer.
Feridun Zaimoglu: „Kopf und Kragen. Kanak-Kultur-Kompendium“. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001, 256 Seiten, 23,47 DM
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