: Strafe ist nötig, Gerechtigkeit auch
Wie Bundespräsident Johannes Rau mit einer Rede versucht, zwischen Kritikern und Befürwortern der US-Angriffe auf Afghanistan zu vermitteln
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
Es ist eine Rede, wie sie typisch ist für Johannes Rau. Der erste Mann im Staat hat der Gesellschaft, die er als Präsident vertritt, gut zugehört, dann nachgedacht und jetzt präsentiert er Einsichten, die keiner Seite ganz recht sein können.
Seit bald vier Wochen läuft die Debatte um die richtigen Lehren aus dem Anschlag vom 11. September, und allmählich haben sich ganz grob gesprochen zwei Linien herausgebildet: Hier die Kulturalisten, dort die Aktionisten. Die Kulturalisten suchen den Anschlag aus den kulturellen und ökonomischen Folgen der Globalisierung zu erklären und halten Militärschläge für ein eher untaugliches Mittel der Terrorismusbekämpfung. Die Aktionisten glauben, Ussama Bin Laden ist ohne militärische Aktionen nicht beizukommen.
In seiner ersten Rede seit Beginn der US-Luftangriffe auf Afghanistan positioniert Johannes Rau sich, drastisch formuliert, als Globalisierungskritiker mit festem Glauben an den Sinn von Militäreinsätzen.
Die Anschläge von New York und Washington stellten „gemeine Verbrechen“ dar, sagte er gestern in Leipzig, wer sie zu verantworten hat, „der muss bestraft werden“. Den politisch eher anstössigen Begriff der Strafe wählte Rau bewußt, weil ihm offenbar mißfällt, dass es inzwischen „manch relativierenden Rückzug gibt, der zum Verzicht auf Bestrafung rät“. Strafe sei aber nicht mit Rache und Vergeltung gleichzusetzen. „Die angemessene Strafe bestätigt die Gültigkeit grundsätzlicher Werte und kann weiterem Unrecht vorbeugen“, urteilt der Präsident. Manchmal müsse die Freiheit eben mit Waffengewalt geschützt werden. „Ich kann mir denken, dass das vielen von Ihnen, die Sie aus der Tradition der Friedensbewegung kommen, schwer fällt“, sagte er in der Leipziger Nikolaikirche zum Jahrestag des 9. Oktober 1989. Hier hatten die Friedensgebete stattgefunden, hier hatte am 9. Oktober eine der größten Montagsdemos begonnen, die mit friedlichen Mitteln ein waffenstarrendes Regime zum Einsturz brachte.
Umgekehrt fordert Rau aber von einem kulturell und materiell expandierenden Westen, ein Bewußtsein für die fatalen Seiten des eigenen Wirkens zu entwickeln. „Es hieße den Terrorismus zu legitimieren, wollte man den mörderischen Anschlägen in Amerika einen Sinn unterschieben“, sagte er, aber „wir müssen uns doch fragen, was jene bewegt, die die Terrorangriffe billigen oder die sie gar bejubeln“? Das Motiv wirtschaftlicher Not allein hält der Bundespräsident für eine unzureichende Erklärung: „Ein Grund ist sicher das Gefühl, immer weniger Einfluss auf alles zu haben, was das eigene Leben bestimmt.“ Rau begrüßt zwar den wirtschaftlichen Fortschritt im Zuge der Globalisierung, warnt aber vor den Auswirkungen auf die Menschen: „Sie können es vielleicht nicht einmal sagen, aber sie spüren doch genau, wie wenig ihre Überlieferungen, ihre Kultur, ja einfach: ihr Anderssein respektiert wird, wenn es darum geht, dem wirtschaftlichen Fortschritt den Weg zu ebnen.“
Wie immer bleibt Rau zurückhaltenden in der direkten Kritik an den Regierenden, mögen sie sie in Washington sitzen oder um die Ecke im Bundeskanzleramt. Doch fürchtet der Bundespräsident offenbar, mit dem Beginn der militärischen Auseinandersetzung in Afghanistan könnten die Beteuerungen von einem „umfassenden Konzept gegen den Terror“ rasch vergessen werden. So hält er der Anti-Terror-Allianz vor: „Aus gemeinsamem Handeln in Gefahr allein erwächst keine neue Ordnung nach dem Ende alter Konfrontationen.“
Seit langem schon engagiert Rau sich für eine Initiative seines Vorgängers Roman Herzog unter dem Titel „Dialog der Kulturen“. Auch in Leipzig griff er die Idee auf. Der Dialog „schließt ein, dass auch Vorstellungen und Forderungen anderer Kulturkreise uns gegenüber erhoben werden, unser Verhalten zu korrigieren oder zu ändern.“
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