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New Yorker Impressionen

■ Die Bremer Grünen Helga Trüpel und Hermann Kuhn haben New York besucht. Die beiden Reisenden berichten von einer nachdenklichen Stadt.

Es war eine private Reise. Seit fast einem Jahr geplant. Doch unversehens wurde auch die New-York-Reise der beiden Grünen Helga Trüpel und Hermann Kuhn wieder eine politische Angelegenheit. Abreisetermin: 28. September, gut zwei Wochen nach den verheerenden Anschlägen auf das World Trade Center. „Wir sahen keinen Grund, die Reise deswegen abzusagen“, sagt Hermann Kuhn mit einer Mischung aus Trotz und Mitgefühl.

Ein wenig beklommen wirken die beiden, als sie von ihrer Reise berichten. Der Leichengeruch in Midtown Manhattan hätte sich gerade erst verzogen, hörten sie. Und immer noch brannte es unter den Trümmern des World Trade Centers. Der Financial District in tiefer Depression, und selbst das umtriebige Chinatown ist noch nicht wieder so quirlig wie früher. Aber auch positive Erfahrungen haben die beiden grünen Bürgerschaftsabgeordneten mitgenommen: Viel freundlicher und hilfsbereiter erschienen Helga Trüpel die New Yorker im Vergleich zu früheren Besuchen, wo sie die Stimmung als latent aggressiv empfunden hatte. Dieser Tage sei die Atmosphäre offen, die Meinungsvielfalt beeindruckend gewesen.

Vor allem Bürgermeister Rudy Giuliani habe immer wieder gemahnt, niemanden auszugrenzen. Das heiße, den Terroristen zu widerstehen. „Es war keiner von uns“, lautete die Botschaft, mit der er die bunt gemischten New Yorker zusammenschweißte. Die kanalisieren ihre Verzweiflung nun vor allem in Verehrung für die Helfer von Feuerwehr und Polizei. Fast alle, haben die Bremer Gäste beobachtet, tragen „Solidaritätsabzeichen“, auch in den Landesfarben.

Das sei aber keineswegs als chauvinistische Regung zu verstehen, so Trüpel. Die meisten würden zwar die Angriffe auf Afghanistan für nötig halten, gleichzeitig aber ihrer Trauer darüber Ausdruck verleihen. Von Kriegsbegeisterung oder gar Rachedurst sei in der schwer gezeichneten Stadt nichts zu spüren. Nichts zu tun, in der Hoffnung, damit die Terroristen zu besänftigen, betrachteten allerdings die Gesprächspartner der beiden Grünen durchweg als falsches appeasement. Gegen den Krieg sahen die beiden nur ein einziges Transparent.

Besonders beeindruckt haben die beiden Reisenden Begegnungen mit älteren Juden. Agnes Heller zum Beispiel, die als Erste den Bremer Hannah-Arendt-Preis erhielt und an der New School for Social Research lehrt. Die Schülerin von Georg Lukács, vor dem Kommunismus aus Ungarn geflohen, reagiert besonders empfindlich auf alles Totalitäre. „Für sie ist das einfach eine Anmaßung, dass die jungen Attentäter anderen sagen wollen, wie sie zu leben haben“, berichtet Trüpel.

Oder Robert Goldmann, der in den dreißiger Jahren mit seinen Eltern vor den Nazis aus Deutschland floh. Anfang der neunziger Jahre kam er als Repräsentant der antirassistischen Anti-Defamation-League nach Bremen. Aufgeschreckt durch das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen schlug er hier pädagogische Programme zur Förderung der Toleranz vor, die von Landesinsitut für Schule immer noch umgesetzt werden. Goldmann sieht in den Attentaten eine Stigmatisierung als Gruppe, die ihn an die Verfolgung durch die Nazis erinnert. „Die Amerikaner“ seien das Ziel, nach dem Individuum werde nicht gefragt.

Ihre eigene Haltung zum Krieg sehen Trüpel und Kuhn durch die Gespräche in New York nicht verändert, wohl aber gefestigt: Im Rahmen eines transparenten politischen Konzepts gegen den Terrorismus könnten militärische Mittel eine Rolle spielen, auch vonseiten der Bundeswehr. Was nicht passieren dürfe, seien wahllose Flächenbombardements. Mit einer offenen Frage sind die beiden aus den USA zurückgekehrt: Warum haben in Deutschland manche Leute mehr Angst vor den Amerikanern als vor dem Terror? Jan Kahlcke

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