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„Vielleicht kann das ja Gregor erklären“

Im Westen will die PDS vor allem in vernachlässigten Bezirken wie Neukölln punkten. Gysis Auftritte werden dort sehnlichst erwartet, auch wenn der Spitzenkandidat die Weltlage gekonnter erörtert als lokale Fragen

„Gysi kommt“ steht dick auf dem Plakat vor dem „Café Rix“ in der Karl-Marx-Straße. Das Empfangskomitee mit den Namensschildchen tritt unruhig von einem Bein aufs andere. Der prominente Genosse hat sich heute abend zum Wahlkampftermin bei den Mitstreitern im Westen angesagt. Immerhin hatte Neukölln bei der Wahl 1999 eines der besten Ergebnisse für die PDS in Westberlin geliefert.

Im Kontrast zu den Dönerbuden und 99-Pfennig-Läden draußen präsentiert sich das „Café Rix“ edel mit goldenem Stuck. Ein kultiviertes Publikum, irgendwo zwischen Studienrat, Student und Angestellten hat sich eingefunden, das Café ist voll bis vor die Tür. Die Spitzenkandidatin der Neuköllner PDS, Evrim Baba, eröffnet den Abend. Es sei schwierig, angesichts der Ereignisse vom 11. September über die Probleme des Bezirks zu sprechen, liest sie vom Zettel ab. Danach singen Schauspieler der Neuköllner Oper „Wenn ich König wär, gäbs nur Sozialisten“.

Dann kommt Gysi, begleitet von Bodyguards. Der PDS-Spitzenkandidat guckt betont ernst. „Ich komme nicht umhin, etwas zur Weltlage zu sagen“, beginnt er. Die Täter der Anschläge in den USA müssten zur Verantwortung gezogen werden. Ganz klassenkämpferisch bemerkt er, die Hintermänner seien ja „reiche Leute“, denen es um die „Verteidigung feudaler Herrschaftsstrukturen“ gehe. Er stellt sich ein „Kommandounternehmen“ vor, Krieg sei „der falsche Weg“. Der Beifall bleibt weitestgehend auf die PDS-Bank beschränkt.

Berlin wendet er sich mit seinem Thema, der „inneren Einheit“ zu. Chancengleichheit zwischen Ost und West müsse her. Andererseits seien durch die Infrastrukturhilfe im Osten Gegenden wie Wedding, Kreuzberg und Neukölln vernachlässigt worden – zustimmendes Nicken . Dann hangelt sich Gysi routiniert durch die Themen Parteienfilz, Bildung und Hauptstadtkultur. Am Schluss wird er noch einmal kämpferisch: „Ich will, dass wir eine Stadt des Friedens werden“, ruft er, „so was muss man sagen dürfen, als künftiger Bürgermeister!“ Endlich brandet Applaus durch die Reihen.

Die ersten gehen nach Gysis Rede. „Wenig hilfreich“ für die Neuköllner Situation, kommentiert ein kurzgeschorener Mitfünfziger in roter Lederjacke den Auftritt. Der Kandidat habe sich mehr „populistisch“ zur Weltsituation geäußert, „wie man das von Herrn Gysi kennt“.

Im Saal folgt die Fragerunde. Wie das Vertrauen der Industrie in die PDS gestärkt werden könne, fragt ein Mann, ein anderer ist beleidigt, weil die Gewerkschaften nicht erwähnt wurden. „Warum ist Neukölln so schmutzig?“ fragt eine Frau mit österreichischem Akzent. Die Neuköllner Kandidatin Evrim Baba gerät ins Schwimmen, ihr Thema sei eigentlich Frauenpolitik: „Vielleicht kann das ja Gregor erklären.“ Gysi kann.

MICHAEL DRAEKE

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