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Liegend und tollkühn

Beim Treffen der schnellsten Menschen der Erde im US-Bundesstaat Nevada bringt es Sam Whittingham auf sagenhafte 129,6 Stundenkilometer, und das allein per Muskelkraft

aus Battle Mountain KNUT JAHNKE

In der Fachwelt heißen sie Human Powered Vehicles, kurz: HPVs. Hier zu Lande sind sie allerdings eher unter dem Begriff „Liegerad“ bekannt, zumindest in ihrer etwas behäbigeren Form. Dass die liegenden Männer in ihren zum Teil tollkühn anmutenden Kisten durchaus der Raserei fähig sind, bewiesen fünf internationale HPV-Teams auf einem Highway südlich von Battle Mountain im US-Bundesstaat Nevada. Dabei ging es um nicht weniger, als der „schnellste Mensch der Erde“ zu sein – und das gleich über drei Distanzen, nämlich 200 Meter, Kilometer und Meile, jeweils mit fliegendem Start in Angriff genommen.

Der Highway 305 ist wie geschaffen für ein solches Vorhaben: Acht Kilometer stur geradeaus, topfeben, in dünner Luft von 1.400 Meter Höhe, nahezu windfrei sowie mit trockenem und nicht zu kühlem Klima. Denn die Kombination macht’s bei der Hatz nach Geschwindigkeits-Weltrekorden, neben den optimalen äußeren Bedingungen kommt es zudem auf die möglichst aerodynamische Verschalung der Liegeräder sowie die Stärke des Fahrers an. Die schien durch Jason Queally, in Sydney Olympiasieger im Rad-Sprint, garantiert. Der Engländer war vom britischen „Blueyonder Team“ eigens für dieses HPV-Rennen eingekauft worden und verzichtete sogar auf die WM in Antwerpen, um sich gezielter vorbereiten zu können. Speziell für Queally entwickelte Designer Chris Fields ein HPV – ermöglicht durch 750.000 Mark Sponsorengelder – in der Hoffnung, eine ideale Verbindung von Muskelkraft und Technik zu finden.

Erneut am Start war auch Sam Whittingham vom kanadischen „Varna Team“, seit seinem Weltrekord aus dem Vorjahr (116,5 km/h) unangefochtener Meister der liegenden Radler. Teamleiter Georg Georgiev hatte den aktuellen „Varna Diablo“ (alle Rennmaschinen werden liebevoll getauft) für die Rennen weiter überarbeitet und perfektioniert. Resultat daraus war ein noch schmaleres und flacheres Rad als das Weltrekordgefährt aus dem Vorjahr. Nur schwer eingeschätzt werden konnte einmal mehr der kalifornische Tüftler Matt Weaver, der vor sieben Jahren die Strecke in Battle Mountain entdeckt hatte. Weaver gilt als technologisch am weitesten fortgeschritten, hat aber häufig das Problem, nicht rechtzeitig zu den Rennen mit seinen Konstruktionen fertig zu werden. Im Vorjahr schaffte er dennoch 112 km/h – und damit Platz zwei. Das Kölner „White Hawk Team“, Halter der meisten Langstreckenweltrekorde, musste seine Teilnahme hingegen absagen: Gesundheits- und Terminprobleme des Fahrers, Sprintweltmeister Jan van Eijden, verhinderten die Reise.

Während der sechs Tage von Battle Mountain war, wie schon im Vorjahr, Sam Whittingham der absolute Star. Bereits am ersten Abend übertraf er die magische Grenze von 120 km/h auf der 200-Meter-Strecke, eine Leistung, die er von Tag zu Tag noch steigerte. Jason Queally hingegen konnte nach technischen Problemen erst am dritten Tag einsteigen, gefährdete Whittinghams Rekord aber auch da zu keinem Zeitpunkt, sehr zur großen Enttäuschung der zahlreich anwesenden britischen Presse. Sein HPV stellte sich als zu voluminös und somit bremsend heraus, zusammen mit fehlender Fahrpraxis kam Queally am Ende nur auf 103 km/h. In der ewigen Bestenliste ist das lediglich die fünftschnellste Zeit.

Spannend wurde es dennoch, vor allem an den letzten beiden Tagen. Die begann Sam Whittingham mit 124,8 km/h über die 200 m, Außenseiter Matt Weaver, der erst jetzt ins Geschehen eingriff, verpasste diese Bestmarke lediglich um 0.3 km/h, stellte dafür aber neue Rekorde über Kilometer und Meile auf. Dazu kamen neue Tandem-Rekorde durch das „Double Gold Rush“-Team auf allen drei Strecken. „Dies ist der größte Tag im größten HPV-Rennen aller Zeiten“, frohlockte entsprechend Organisator Sean Costin, am letzten Tag wurde er in seiner Aussage zusätzlich bestätigt: Zuerst brach die erst 15 Jahre alte Tanya Markham, einzige Frau am Start, mit mehr als 81 km/h die Frauen-Weltrekorde über Kilometer und Meile. Dann sattelten auch die „Big Boys“ noch einmal drauf: Matt Weaver kurbelte sich auf 125.5 km/h und war damit schneller als Konkurrent Whittingham am Vortag. Der wiederum, aufgeputscht von Weavers Vorgabe, drehte ebenfalls auf und erreichte auf der 200-Meter-Strecke mit größerem Gang und anderem Timing beim Anlauf sensationelle 129,6 Stundenkilometer. Beflügelt von diesem Weltrekord ließ er anschließend auch neue Bestzeiten über Kilometer (128.4 km/h) und Meile (126.5 km/h) folgen.

Die Grenzen scheinen aber auch damit noch längst nicht erreicht zu sein, weder für Sportler noch für die Designer. „Ich habe schnellere Designs im Computer, aber ich suche noch nach Sponsoren für die Realisierung. Ich halte 160 Stundenkilometer langfristig für machbar“, sagt etwa Matt Weaver. Bis er den Beweis hierfür angetreten hat, bleibt aber Sam Whittingham mit seinen 129,6 km/h der schnellste Mensch der Erde.

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