: Im Netz der Wissenschaft
Eine Wissenschaftler-Initiative zum freien Abrufen aller wissenschaftlichen Erkenntnisse im Internet scheitert am Veto der Verlage. Denn die fürchten, dass ihnen dadurch Penunzen entgehen
von HEIKO DILK
Es hätte so schön werden können. All die Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung der ganzen Welt in einer Online-Datenbank, komplett suchfähig, untereinander verlinkt und – umsonst. Spätestens seit dem 1. September ist den Initiatoren der Public Library of Science (PLoS) jedoch klar, dass sich dieses Ziel nicht verwirklichen lassen wird. Und noch etwas hat sich herausgestellt: 27.000 Wissenschaftler aus über 170 Ländern, die die PLoS-Initiative unterzeichnet haben, scheinen eben keine Macht über die großen wissenschaftlichen Verlage zu haben.
Dabei erscheint der Plan der PLoS durchaus sinnvoll und gerecht: Wissenschaftler erhalten weder Veröffentlichungs-, noch Gutachterhonorare, ihre Forschungstätigkeit wird zumeist vom Staat bezahlt. Über ihre Artikel frei verfügen können sie dennoch nicht, denn die Verwertungsrechte gehen an die Verlage. Deren Kosten wiederum beschränken sich aufs Publizieren. Doch das sei teuer, wie Dietrich Götze, Geschäftsführer des Springer-Verlages, sagt. Eine Notwendigkeit für ein zentralisiertes System, wie es die PLoS plant, mag er nicht erkennen.
Die Gelehrten hatten sogar mit Boykott gedroht. Sie wollten nämlich nur noch für die Magazine schreiben, die ihre Inhalte spätestens sechs Monate nach der Erstveröffentlichung umsonst auf einem zentralen Online-Portal zur Verfügung stellen. Doch die Zahl der Verlage, die sich dazu bereit erklärte, ist so gering, dass die PLoS nun in einem Brief an die Unterzeichner der Initiative Verständnis dafür äußert, dass auch weiterhin in Zeitschriften veröffentlicht wird, die die Anforderungen der PLoS nicht oder nur teilweise erfüllen. Die neue Lösung der PLoS lautet: Publizieren auf eigene Faust. Denn es scheint für die Verlage keinen Grund zu geben, von ihrer bisherigen Preispolitik abzuweichen.
Und die bezeichnet Manfred Hank, Chef-Bibliothekar der Bayerischen Staatsbibliothek, nach der British Library die zweitgrößte Zeitschriften-Bibliothek Europas, als „erschreckend“. Dort haben sich die bibliotheksinternen Ausgaben für wissenschaftliche Zeitschriften in den vergangenen sechs Jahren von sechs Millionen Mark auf knapp elf Millionen fast verdoppelt. Und das, obwohl das Zeitschriftenangebot speziell in den Bereichen Mathematik, Physik und in den Geisteswissenschaften schon stark zurück gefahren wurde. Einige Verlage tun sich dabei besonders durch Preissteigerungen hervor. So hat der niederländische Verlag Elsevier, der fast 1.200 Zeitschriften zumeist im neuralgischen STM-Bereich (Science, Technology, Medicine) herausgibt, die Preise zum Jahreswechsel 2001 mal eben um 20 Prozent erhöht.
Der Aufbau einer solchen Datenbank, wie es den PLoS-Initiatoren vorschwebt, sei außerdem enorm aufwendig und brauche Jahre, behauptet Springer-Mann Götze, und verweist auf das eigene Online-Portal LINK, wo die meisten Veröffentlichungen zumindest in Auszügen kostenlos abrufbar und recherchierbar sind, zum Teil sogar bevor sie in einer der Zeitschriften erscheinen. Darüber hinaus haben alle Autoren das Recht, ihre Artikel auf der eigenen Internetseite zu publizieren.
Doch Springer ist da eher die Ausnahme. Bei Elsevier sieht die Sache schon etwas anders aus. Zwar sind auch dessen Magazine in digitalisierter Form verfügbar, doch sind dafür ähnliche Summen fällig, wie für die herkömmlichen Print-Abos.
Bei einem zentralisierten System befürchtet Götze, dass ein Stück wissenschaftliche Vielfalt verloren geht. „Nicht alles, was veröffentlicht wird, ist ja so klar und wahr, wie man glauben könnte“, sagt er. Schließlich habe jede Zeitschrift ihr eigenes Gutachtergremium. Was also von dem einen Verlag abgelehnt werde, könne in einer anderen Zeitschrift durchaus seinen Platz finden.
Die Verlage werden also voraussichtlich nicht von ihrer bisherigen Linie abweichen, zumal sie schon seit zwei Jahren in ein eigenes Projekt investieren, das sich „Crossref“ nennt und über die Publishers International Linking Association (PILA) von ihnen selbst betrieben wird. Jeder Artikel, der bei den beteiligten 83 Verlagen, darunter auch Springer und Elsevier, erscheint, soll früher oder später eine Identifikationsnummer erhalten, die im Internet direkt zu den bibliografischen Angaben führt und zumeist einen Auszug aus dem jeweiligen Text bereitstellt. Zumindest die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Informationen könnte so wesentlich erleichtert werden.
Freilich werden die Online-Datenbanken der meisten Verlage nicht kostenlos sein. Das Problem weniger betuchten Universitäten und Forscher, insbesondere aus den Entwicklungsländern, ist damit also nicht gelöst. Aber wie heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik: „Wissenschaft und Forschung sind frei“. Frei, aber nicht gratis.
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