noch 81 tage bis zum euro
: taz-Serie über unser neues Geld

Kerben und Rillen: Blinde lernen den Euro kennen

Dienstagmorgen im belgischen Verviers: Christine Welch von der „Belgischen Gemeinschaft für Blinde und Sehbehinderte“ versucht vergeblich, gegen 60 aufgeregte Frauen anzureden. Sie sollen zu Eurotrainerinnen ausgebildet werden und sehen die neuen Geldstücke heute zum ersten Mal.

Die Frauen sollen blinde und schlecht sehende Menschen über den Euro informieren und ihnen so die Angst vor den unbekannten Münzen nehmen. Deshalb müssen sie die neue Währung zunächst selbst genau kennen lernen: Sie stehen über die Musterstücke gebeugt, drehen und wenden sie, wiegen sie in der Hand und – ganz wichtig: betasten sie. Glatte Ränder, Rillen, Einkerbungen – jede Münze hat eine charakteristische Struktur und Größe. Die sieben Geldscheine und sieben der acht Münzen wurden nach Vorschlägen der „Europäischen Blinden Union – Euro Guppe“ (EBU-EG) mit den markanten blindengerechten Tastmerkmalen ausgestattet. Darauf ist die Trainerin stolz: „Ein historischer Vorgang. Das war das erste Mal, dass die Blinden als eine Verbrauchergruppe mit spezifischen Bedürfnissen anerkannt wurden“, sagt sie. „Die größte Sorge der Blinden ist, dass sie ihre Selbständigkeit verlieren, weil sie ihr Geld nicht mehr erkennen können“, erklärt die Belgierin den ehrenamtlichen Helferinnen. „Dabei vergessen sie alle weiteren Fragen, die mit dem neuen Geld zusammenhängen.“ Immerhin sieben bis acht Millionen Sehbehinderte im Euroraum sind nach einer Schätzung der EBU-EG auf die Kennzeichen an den Münzrändern angewiesen. Allerdings müssen sie die Merkmale kennen lernen, bevor das neue Geld ins Portemonnaie kommt.

Genau das ist das Problem: Sie gehören zu den so genannten labilen Bevölkerungsgruppen. Damit sind jene Menschen gemeint, die mit den gängigen Informationsmitteln über den Euro schwer zu erreichen sind. Dazu zählen auch die Taubstummen, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geistiger Behinderung, alte und arme Menschen, sowie Immigranten, die die Landessprache nicht beherrschen. „Diese Gruppe macht 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung aus“, vermutet Thierry Vissol von der Europäischen Kommission. Genaue Zahlen gibt es nicht. Um diese Gruppe gezielt anzusprechen, hat die Kommission 1997 das Projekt „Euro ohne Mühe“ gestartet. In die Praxis umgesetzt wird es von Helfern wie Christine Welch.

Die Kommission beteiligt sich an den Kosten, im Übrigen baut sie auf die Nähe und das Verständnis der Verbände und Organisationen für die besonderen Bedürfnisse der „labilen Bevölkerungsgruppen“. Eine Zusammenarbeit, die gut funktioniert, betont Christine Welch: „Wir haben enorm viel Unterstützung von der Kommission und auch von der belgischen Regierung bekommen.“

KARL DOELEKE