: „Das war eine Nummer zu groß“
Landesschutzpolizeidirektor Gernot Piestert mahnt zur Besonnenheit. Der Großeinsatz der Polizei am Mittwoch wegen eines verdächtigen Briefumschlags sei nicht optimal gelaufen. Fachleute sollen Gefährdung beurteilen
taz: Herr Piestert, können Sie in diesen Tagen noch ruhig schlafen, oder fürchten Sie sich persönlich vor Terroranschlägen?
Gernot Piestert: Mein Schlaf ist nach wie vor sehr gut. Im Moment gibt es überhaupt keine konkrete, ernst zu nehmende Bedrohungssituation für die Menschen in Berlin durch einen terroristischen Anschlag. Ich mahne zur Besonnenheit.
Am Mittwoch hat ein bloßes Briefkuvert einen Großeinsatz der Polizei ausgelöst.
Es gibt in der Bevölkerung eine gewisse Sorge, die ich verstehe, die aber manchmal schon Formen von Hysterie annimmt. Aus meiner Sicht ist der Umgang mit dem vermeintlichen Bio-Anschlag im Wedding allerdings nicht optimal gelaufen. Das war eine Nummer zu groß, aber hinterher ist man natürlich immer klüger. Wenn man die Maschienerie einmal in Gang gesetzt hat, ist sie nicht so schnell zu stoppen.
Hätte man früher erkennen können, dass es sich um ein Fake handelt?
Ich hab das Ding nicht gesehen. Vom grünen Tisch kann man das nicht beurteilen. Der Einsatz ist sehr verantwortungsbewusst gelaufen und zeigt der Bevölkerung, dass wir im Ernstfall da sind. Wir können aber nicht bei jedem Brief, der irgendwo herumliegt, von einem terroristischen Anschlag ausgehen.
Nach jedem Anschlag gibt es Trittbrettfahrer. Wie beurteilen Sie konkret, ob eine Drohung ernstzunehmen ist?
Zunächst führen Fehlalarme wie am Mittwoch auch zu einer gewissen Relativierung in den Köpfen der Beamten vor Ort. Ich habe nun angeordnet, dass bei Drohungen eine qualifizierte und verantwortliche Führung von der Polizei vor Ort ist, die Vorfälle vernünftig beurteilt und Maßnahmen einleitet oder darauf verzichtet. Solche Entscheidungen will ich nicht dem einzelnen Polizeimeister im Funkwagen zumuten.
Und nach welchen Kritierien urteilen diese qualifizierten Kräfte über potenzielle Drohschreiben oder -pakete?
Da gibt es eine Menge Berufserfahrung. Schon das Aussehen der Attrappe oder des gefährlichen Gegenstands oderder Ort der Ablage reichen häufig für eine Entwarnung. Wichtig ist auch, wen man als Fachpersonal dazuholt. Man sollte nicht gleich die gesamte Maschinerie der Sicherheitsbehörden in Gang setzen. Für chemische oder biologische Gefahren sind im übrigen nicht wir, sondern Spezialisten der Gesundheitsverwaltung zuständig. Die sind auch viel qualifizierter.
Die können aber doch auch nicht in jeden Brief riechen?
Kriminalistische Erfahrung und Fachkompetenz müssen in einem solchen Fall zusammenarbeiten. Wenn wir jede Bombendrohung, die seit Jahren täglich eingehen, Ernst nehmen würden, gäbe es ein Riesenchaos in der Stadt. Wenn zum Beispiel vormittags eine Bombendrohung gegen ein Schule eingeht, wird höchstwahrscheinlich eine wichtige Klassenarbeit geschrieben.
Kann die Polizei die Mehrarbeit noch bewältigen?
Wir können noch zulegen, weil unsere Bediensteten unglaublich motiviert arbeiten. Insbesondere der Objektschutz macht uns Kummer, weil der sehr viel Personal in Anspruch nimmt. Wir überlegen, auch mal auf die eine oder andere Verkehrskontrolle zu verzichten. Dennoch soll niemand denken, dass es keine Blitzer mehr in der Stadt gibt.
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