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„Eure Opern“

■ Hannover bringt deutsche Erstaufführung aller fünf „Europeas“ von John Cage

Erinnern wir uns noch einmal an die Gedanken und das künstlerische Werk des im Sommer 1992 verstorbenen Amerikaners John Cage, ohne den in der europäischen Musikgeschichte vieles anders weitergegangen wäre: er wollte Kunst nicht länger an die Gattungsgrenzen gebunden wissen, er wollte unter Musik die Totale von Geräuschen verstanden haben, er wollte Hierarchien abbauen und führte gegen den seriellen Konstruktivismus der fünfziger Jahre das Zufallsprinzip nach dem altchinesischen Orakelbuch I-Ging ein. Fast am Ende seines Lebens erhielt er von der Frankfurter Oper einen Kompositionsauftrag für eine Oper. Oper: bie bürgerliche Gattung schlechthin, deren Spielstätten der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez einst in die Luft jagen wollte.

Da erwartete man vom Enfant terrible eigentlich eine kritische Abrechnung, aber das Gegenteil war der Fall. John Cage schrieb 1985 „Europeras 1-2“, was so viel heißt wie „Eure Opern“, eine hinreißende Ovation an die Oper, freilich nicht ohne das einzubringen, was noch immer typisch für sein Schaffen war: die Lust am Selberdenken, die Lust an der Reflexion, die Lust auf veränderte Wahrnehmung: „Wenn Sie das Wort Musik inbezug auf meine Sachen stört, dann nehmen Sie ein anderes Wort“.

Genau das müssen wir in „Europeas“ nicht, denn wir hören viel viel Musik. Ein Jahr vor dem zehnten Todestag von Cage stehen am Niedersächsischen Staatstheater Hannover zum ersten Mal alle „Europeas“ (1-5) auf dem Spielplan. Der neue Musikdirektor Johannes Harneit und der Regisseur Nigel Lowery haben zusammen mit Xavier Zuber eine derart lustvolle Fassung erarbeitet, dass kein Opernfan diese Aufführung verpassen sollte.

Nach der Ouvertüre singen in „Europeras 1&2“ sechs SängerInnen je sechs Arien ihrer Wahl nach Art von „objet trouvé, die orchestrale Basis sind irgendwelche Orchesterstellen, gefunden nach einem computergesteuerten Würfelprinzip. Die musikalische Arbeit des Dirigenten ist zum Zeitpunkt der Aufführung vorbei, er steht nur noch da und lächelt glücklich über das, was da jetzt geschieht und klingt.

Da glänzen in wirklich fabelhaften gesanglichen Leistungen Lucia di Lammermoor, Walter von der Vogelweide, Otello, Prinzessin Eboli, Pedrillo, Carmen, Acuzena und viele andere: Lowery bindet das in eine übergreifende Geschichte, wie diese sechs Persönlichkeiten aufeinandertreffen und wie sie ihr Leben als KünstlerInnen erleben: ängstlich, durchsetzungsfähig, stolz, kämpfend bis zum Tod: hundert Opern spielen gleichzeitig. Ob eine solch geschlossene Konzeption gegen die Intentionen von Cage gehen könnte, der genau keine Geschichte wollte, muss offen bleiben.

„Europeas 3“ spielt dann im mit Gerüsten umbauten Foyer, in dem StudentInnen der Musikhochschule Hannover Arien und Duette zu lebenden religiösen Bildern singen, zu „tabelaux vivants“: auch das ist eine großartige Idee, weil man seine Augen und Ohren nicht voll genug kriegen kann.

„Europeas 4“ kehrt die Opernwelt erneut um: die ZuschauerInnen sitzen auf der Bühne und zwei sehr einsame Sängerinnen, unterstützt vom Klavier in fast unhörbaren Andeutungen präsentieren ihre Kunst im leeren

Zuschauerraum. Auch dies ein Einfall, der wie der ganze Abend vermittelt, was Singen ist: nicht bürgerliches Relikt, sondern, am ausgeprägtesten im Bel Canto, das leidenschaftliche Nennen von Emotionen. Der letzte Akt: auf dem Platz vor der Oper laden die KompositionsstudentInnen aus Hannover zu einer feuerwerksgekrönten Performance. Ein köstlich mundendes Muss für jeden Opernfan, in dem sich die Waage zwischen grellem Spaß und intelligenter Reflexion perfekt hält!

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen in der Staatsoper am 18., 20. und 21. Oktober.:

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