Blut im Séparée

Baz Luhrmanns Musical „Moulin Rouge“ legt einen kulturellen Bypass zwischen der Pariser Bohème der Belle Époque und den Blumenkindern der Sixties – und verliert auf halber Strecke die Puste

von BIRGIT GLOMBITZA

Bescheiden war er noch nie. Baz Luhrmann geht es in „Moulin Rouge“ um Wahrheit, Schönheit und Freiheit. Eigentlich der Werte-Dreiklang, den man sonst als Inschrift auf den Portalen des Bildungsbürgertums finden kann. Doch von schwerwiegenden Bedeutungen, ästhetischen Maßregelungen und gesellschaftlich wertvollen Lektionen keine Spur. Auch wenn sich die Geschichte stolz mit Reverenzen an „Orpheus und Eurydike“, Dumas’ „Kameliendame“ und Henri Murgers „La Bohème“ in die Brust schmeißt, will „Moulin Rouge“ doch vor allem eins: die totale Party. Und dazu ein Publikum, das aus dem Staunen nicht mehr rauskommt.

Bereits in seiner durchgedrehten Shakespeare-Adaption „Romeo + Julia“ versetzte Luhrmann einen klassischen Stoff in die Gegenwart und ließ Shakespeares metaphorische Liebeslyrik mit dem rappenden Sound rivalisierender Jugendgangs aus dem heutigen Los Angeles kollidieren. Auch in „Moulin Rouge“ liegt die Analogie im Gegensatz: Auf Erkenntnis- und Bewusstseinserweiterung sind in Luhrmanns Welt des kulturellen Bypass sowohl die Blumenkinder der Sixties als auch die Pariser Bohème der Jahrhundertwende aus, die einen im psychedelischen Trip, die anderen im Dunstschleier des Absinth. „All you need is love“ – das wusste auch schon die Flower-Power-Bewegung des 19. Jahrhunderts.

Für seine Blumenkinder der Belle Époque erschafft Luhrmann aus den Farbtöpfen des Jahrmarkts ein Kaleidoskop des wüsten, aber charmanten Trash, das sich ständig selbst überbieten will, bis ihm auf halber Strecke die Puste ausgeht. Da rascheln die Röcke in extremer Nahaufnahme, da werden die Beine im MTV-Tempo durch die Luft geworfen, da funkelt und glitzert es in allen Ecken in Pink und Silber, und selbst das Blut leuchtet mit den Séparée-Kissen aus Satin um die Wette. Nicole Kidman läuft es rot die Mundwinkel herunter und natürlich steht ihr das ganz hervorragend. Schließlich ist sie Satine, der schwindsüchtige Star unter den Konkubinen des „Moulin Rouge“, das Schneeweißchen dieses Melodrams. Für das finanzielle Überleben des Etablissements und das ehrgeizigen Theaterprojekt ihres Geliebten Christian (Ewan McGregor) wird sich Durchscheinende opfern und dem schmierigen Sponsor Duke anbieten. Damit die Unterhaltung weiterlebe und die Wahrheit und die Schönheit und die Freiheit, versteht sich. Davon kann sie mit Christian ein Lied singen und „Diamonds are a girl’s best friends“ gleich hinterher und tanzt und schwebt, bis der pausbäckige Mond noch breiter lacht und auch das ganze Dekor vor Freude mitquietscht.

„Moulin Rouge“ ist Musical, Melodram und verpoppte Parabel von der Geburt des Kunstwerks – Erik Satie und Henri Toulouse-Lautrec unterstützen Christian bei der Arbeit an seinem großen, biografisch angehauchten Singspiel über einen kleinen Sitar-Spieler – aber vor allem ist es eine Fahrt in einem hysterischen Karussel. Eine, die so lange Spaß macht, bis man merkt, dass sich das Ganze im überstilisierten Selbstzweck überdreht. Wo man hinhört, Pop-Medleys aus so Bekanntem, dass mindestens drei Generationen mitsummen können. Hingerissen von der eigenen Begeisterung klatscht sich der Film selbst auf die Schulter und feiert seine eigenen Attraktionen. So blitzt die romantische Sternenkulisse irgendwann ins Leere, und das Liebespaar geht ambitionslos im Traumschönen auf. Vielleicht sollte man es tatsächlich wie auf der Kirmes halten, wo die Geschichte aller Bildermaschinen schließlich ihren Anfang nahm. Einfach einen dicken, rosa Elefanten mit Herzchensattel schnappen und hinter dem bimmelnden Feuerwehrauto im Kreis fahren, nach der ersten Runde keine Überraschungen mehr erwarten und hin und wieder die Augen schließen, damit einem das ganze Zuviel, Zusüß und Zubunt nicht auf den Magen schlägt.

„Moulin Rouge“. Regie: Baz Luhrmann. Mit Nicole Kidman, Ewan McGregor, John Leguizamo u. a. USA 2001, 126 Min.