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Im Auftrag der Kunst

■ Ex-DDR-Malerfürst Willi Sitte stellt jetzt in Bremen statt in Nürnberg aus: „Der Künstler soll im Zentrum stehen“

„Immerhin sehen sie hier jetzt allerhand. Man kann schon sagen: Das verdanken sie Nürnberg.“ Jürgen Waller, Rektor der Hochschule Bremen, nimmt es von der komischen Seite. Der DDR-Künstler Willi Sitte hatte Ende letzten Jahres eine Absage auf eine geplante Werkausstellung im Germanischen National Museum (GNM) in Nürnberg erhalten.

Nachdem der dortige Oberkonservator und Projektleiter Claus Pese schon zwei Jahre in die Vorbereitung investiert hatte, griff der Verwaltungsrat des Museums ein und stoppte die Schau. Man wolle nicht nur den Künstler, sondern auch den politischen Menschen Sitte ausstellen. Hierzu wäre aber eine genauere Prüfung von Sittes DDR-Aktivitäten nötig. Als Reaktion auf die Absage zog Willi Sitte die Ausstellung zurück. Er hatte die Schau anlässlich seines 80. Geburtstages geplant.

Daraufhin brandeten die Wogen des öffentlichen Interesses hoch. Die FAZ titelte „Das Sitte-Verbot“ und empörte sich über die Bevormundung des Publikums, dem eine unzensierte Darstellung vorenthalten wurde.

An diesem Punkt der Diskussion griffen der Bremer Sitte-Sammler Klaus Hübotter und der Rektor der Hochschule Jürgen Waller ein. Sie kontaktierten den Maler und baten den langjährigen Freund, wenigstens einen Teil der Ausstellung in Bremen zeigen zu dürfen. Sitte willigte ein.

Der aus einer kommunistischen Familie stammende Willi Sitte studiert während des „dritten Reiches“ an der Nazi-Elitekunstschule in Konberg in der Eifel. Er wird auf Grund von Auseinandersetzungen dort an die italienische Front geschickt und schließt sich italienischen Partisanen an. 1947 übersiedelt er in die DDR und wird dort Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR, deren Vizepräsident er von 1970 bis 1988 ist. Sitte befürwortetet den sozialistischen Realismus, orientiert sich aber selbst am „italienischen Realismo“.

Seine Bilder sind komplizierte, emotional ansprechende Werke, meist mit politischem Hintergrund. Er thematisiert immer wieder die Arbeiterklasse in Bildern wie „Chemiearbeiter am Schaltpult“ (1968) und „Montagearbeiter“ (1967), aber auch jede Form der Rebellion z.B. in den Bildern „Die Steinewerfer“ (1993) und „Demonstranten auf der Flucht“ (1974). Dazu kommen seine Darstellungen von Sexualität und Bilder aus seinem privaten Umfeld.

Willi Sitte war von 1986 bis 1989 Mitglied der SED. Seine politische Tätigkeit dort ist sicherlich umstritten doch sind von ihm keine schweren Vergehen bekannt. Die in Nürnberg ausgeübte politische Zensur wird jetzt durch die Ausstellung in Bremen und anderen Städten relativiert. Sitte selbst, der die Absage aus Nürnberg in Bremen mit den Worten kommentierte: „Es traf mich wie ein Schlag vor den Kopf. Ich war sehr traurig darüber“, empfindet das daraufhin große Interesse an seinen Bildern als Genugtuung.

Der Künster ist bis 2004 mit Ausstellungen ausgebucht, aber die Bremer fragten ihn als erste an. Sitte war und ist von seinen politischen Ansichten überzeugt und vertritt offen seine sozialistischen Sympathien. „Ich hoffe, da ist noch nicht das letzte Wort drüber gesprochen.“ Sitte ist aber kein Betonkopf. Sein Bild „Die Erdgeister“ von 1990 dokumentiert den Wandel seiner Position. „Die Arbeiterklasse existiert im Sinne von Marx und Engels nicht mehr.“ Der Maler hatte nach der Wende mit ungläubigem Staunen feststellen müssen, dass die traditionellen Arbeiterviertel in Halle CDU und FDP wählten.

Die Ausstellung von Willi Sittes Werken ist interessant, und das Trio der alten Herren Wallner, Hübotter und Sitte rührt in seinem Bekenntnis auf die guten Seiten der DDR, auch wenn man ihnen leider nicht so ganz glauben kann. Katja Clysters

Die Ausstellung „Deutsche Kunst und die Wende - Der Maler Willi Sitte“ ist vom 22.10. bis 11.11. in der Galerie der Hochschule für Künste und in der Villa Ichon zu sehen.

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