: „Wir müssen jetzt mit China kooperieren“
Solange Peking mit Geheimdienstinformationen aushilft und rhetorisch nicht ausschert, werden die USA es nicht provozieren. Der ehemalige US-Vizeaußenminister Winston Lord über die neue Anti-Terror-Politik in Zentralasien
taz: Auf seiner ersten Auslandsreise seit dem 11. September trifft US-Präsident Bush heute Chinas Präsidenten Jiang Zemin in Shanghai. Sind aus den Konkurrenten China und USA jetzt Partner im Kampf gegen den Terrorismus geworden?
Winston Lord: China ist ein unsicheres und vielleicht nur vorübergehendes Mitglied unserer Koalition. Denn die Gefühle der Führung in Peking sind gemischt. Die guten Nachrichten beginnen für sie bei der Terrorismusbekämpfung, weil sie meint, mit fundamentalistischen Islamisten in Westchina ihr eigenes Terrorismusproblem zu haben. Außerdem weiß Peking, dass der Terrorismus für uns auf längere Sicht außenpolitisches Topthema bleibt. Indem es sich auf diesem Gebiet kooperativ zeigt, hofft Peking, dass andere Probleme unserer Beziehung – etwa die Lage in Tibet und die Menschenrechte – unter den Tisch fallen. Schließlich glaubt China, dass sein Verhältnis zu den USA – das immer wechselhaft sein wird, aber auf das es aus vielen Gründen angewiesen bleibt – sich jetzt insgesamt verbessern kann.
Doch es gibt auch schlechte Nachrichten für Peking. Unser Militäreinsatz unweit der chinesischen Grenze zu Afghanistan schürt alte Sorgen um die angeblich hegemonialen Ambitionen der USA. Zudem gibt es unerwünschte Nebenwirkungen: Japans Parlament hat gerade die Richtlinien für die japanische Selbstverteidigungsarmee geändert, und Peking sorgt sich um das Wiederaufleben des japanischen Militarismus. Ebenso skeptisch beobachten sie die Annäherung zwischen Russland und der Nato. Sie müssen zusehen, wie Russlands Präsident Putin ehemaligen Ländern der Sowjetunion erlaubt, sich den USA als Militärbasen anzubieten. Alles zusammen begründet Chinas ambivalente Haltung und ihr Anliegen, möglichst viele Aktionen über die Vereinten Nationen abzuwickeln, wo sie im Weltsicherheitsrat ein Veto besitzen.
Ist China mit dieser Haltung isoliert?
Nein. Andere südostasiatische und arabische Länder teilen Chinas Position: Sie sind gegen einen Terrorismus, der auch sie selbst treffen könnte. Und sie widersprechen nicht grundsätzlich einer miliärischen Antwort, betonen aber, dass diese maßvoll und schnell beendet sein muss.
Vor dem 11. September konzentrierten sich die Planer im Pentagon auf eine neue Asien-Strategie, die sich an der angeblichen chinesischen Bedrohung orientierte. Hat sich diese Haltung geändert?
Diejenigen in der Bush-Administration, die China als Bedrohung betrachten, werden ihre Meinung jetzt nicht ändern. Sie reagieren pragmatisch: Solange Peking mit Geheimdienstinformationen aushilft und rhetorisch nicht ausschert, wird man es nicht provozieren. Mittel- und langfristig aber hat das auf ihr China-Bild keinen Einfluss.
Zugleich hat sich jedoch in der amerikanischen Außenpolitik etwas grundsätzlich verändert: Wie im Kalten Krieg gibt es wieder eine klare Priorität – und zwar nicht für die nächsten Monate, sondern für die nächsten Jahre. Der Kampf gegen Terrorismus wird eine Bedeutung erlangen wie einst die Eindämmungspolitik gegen die Sowjetunion. Das heißt, dass wir mit einigen weniger freundlichen und stabilen Regierungen zusammenarbeiten müssen.
Peking fürchtet, dass die neue Koalitionspolitik der USA auch zur Eindämmung Chinas führt.
Ich befürworte bessere Beziehungen der USA zu den Nachbarn Chinas, zum Beispiel zu Vietnam und Indien – und zwar sowohl als Selbstzweck als auch als Gegengewicht zum chinesischen Einfluss. Aber das bedeutet nicht, dass wir provokante militärische Stationierungen planen sollten. Die USA haben kein Interesse an einer dauerhaften Stationierung von US-Truppen in Zentralasien. Zugleich sollten wir mit China in einem ständigen Dialog über unsere Absichten bleiben.
Im Kosovo-Krieg war man zunächst auch nicht von einer dauerhaften Stationierung von Nato-Truppen ausgegangen.
Afghanistan ist ein anderer Fall. Eine künftige afghanische Regierung, die, wie ich glaube, in einigen Monaten den Platz der Taliban einnehmen wird, sollte nicht unter amerikanischem Militärschutz stehen. Sie muss alle ethnischen Gruppen in Afghanistan umfassen und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft bekommen – an ihrer Spitze aber sollten nicht die USA stehen. INTERVIEW: GEORG BLUME
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