Am Ende sterben immer die Falschen

Keiner weiß, was Sache ist. Trotzdem fummelt jeder an einem tauglichen Feindbild. Bei Friederike Hellers Theaterabend „Bondage: Agent entfesselt“ in Dresden trifft James Bond auf die gegenwärtige Weltlage

Plötzlich ist er da. Die Wand öffnet sich, und herein tritt James Bond. Gang, Musik, siegessicherer Blick – passt alles. Nur dass er im falschen Medium gelandet ist. James Bond steht auf einer kleinen Theaterbühne. Ein paar Sessel in Pink, drei junge Arbeitnehmer eines austauschbaren Nichtraucherbüros beim Zeitungslesen und Kaffeetrinken, ein glatter Schreibtisch und wir Zuschauer.

Bond ist irritiert. Vieles hat der Held der Kalten Kriege gemeistert. Ins Theater hat er sich bei seinen legendären Rettungsaktionen vor bösen Feinden nie verirrt. Und nun? Der wackere Gutmensch zeigt Schwächen. Dieses eine Mal nur – und prompt werden sie ausgenutzt.

Aus den drei Schreibtischtätern ist schnell ein Bond-Set gebastelt. Die mit der taz in der Hand wird Bond-Girl (Antje Widdra), die Handelsblatt-Leserin (wunderbar: Vivien Mahler) Miss Moneypenny und der schnieke Herr mit Donald-Duck-Heft der Feind: Frank Markwert, Chef der privaten Sicherheitsagentur Transparenz AG.

Passt auch alles irgendwie. Bloß dass obendrein zwischen ihnen eine erbitterte Debatte über politische Fragen der Zeit ausgefochten wird: globalisierungsgläubiger Markwert contra sozial bewegtes Bond-Girl, Miss Moneypenny dazwischen. Schnell ist klar, was Bond (Stephan Düe) erst langsam begreift: Jeder der Drei arbeitet an der Vereinnahmung des arbeitslosen Agenten. Bis keiner mehr Herr seiner Rolle ist, die Lage explodiert und am Ende wieder die Falschen sterben.

„Bondage: Agent entfesselt“, die Inszenierung am Dresdner Theater in der Fabrik (TiF), reagiert auf die aktuelle politische Situation. Ein gewagtes Unterfangen. Zumal der Abend von Friederike Heller seinen Stoff als Persiflage nimmt und heitere an bitterböse Szenen kettet. Wenn James begreifen soll, was heute Fakt ist, bekommt er etwas von terroristischen Strukturen zu hören. Bei der Frage nach Ursachen wird das Für und Wider des globalen Kapitalismus verhandelt. Obwohl keiner weiß, was Sache ist, fummelt jeder an einem tauglichen Feindbild.

Das Publikum zieht schnell die Verbindung zur Gegenwart. Es lacht über die Gutgläubigkeit des Bond und erschrickt manchmal über die eigene. Auch wenn diese Bühnenautopsie herrschender Verunsicherung etwas gefällige Gewässer befährt, es ist der lohnende Versuch, heutige Erfahrungen beim Wort zu nehmen. Erfahrungen voller Widersprüche und banger Fragen.

Die junge Regisseurin Friederike Heller scheint Derartiges zu lieben. Ende vergangenen Jahres hat sie am TiF ihr Regiedebüt mit einer verwegenen Bühnenfassung von Michel Houellebecqs „Elementarteilchen“ gegeben. Anders als die ausgewalzte Version von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne hat sie den Skandalroman nicht bloß in Langeweile zerlegt, sondern gemeinsam mit ihrem Dramaturgen Marcel Luxinger eine eigene, kluge Fassung erstellt. Reduziert auf drei Figuren, verlegt in ein Labor war sie darin an der Demontage allen Fortschrittglaubens interessiert. Jetzt vollführt die Absolventin der Hamburger Regieschule mit überzeugenden Darstellern den sicheren Gang auf doppeltem Boden, ohne sich in Abbildrealismus zu verirren.

Vielleicht erprobt Friederike Heller ihr offensichtliches Talent in Zukunft ja auch mal an starken literarischen Stoffen. Wäre bestimmt interessant. DIRK PILZ