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Mit Schlägen und Elektroschocks

Ein neuer Bericht von amnesty international wirft Brasiliens Polizei systematische Folter von Gefangenen vor. Brasiliens Regierung weist die Vorwürfe als „ungerecht“ zurück und schiebt die Verantwortung für Missstände den Bundesstaaten zu

aus São Paulo GERD DILGER

Paula Gil kann die Tränen nicht zurückhalten. „Sie haben sein Leben zerstört“, fasst sie das Schicksal ihres Mannes Wander Cosme Carvalheiro zusammen. Anfang Februar wurde der 28-Jährige aus São Paulo festgenommen. Zwölf Polizisten folterten ihn eine Nacht mit Schlägen und Elektroschocks, bis er ein „Geständnis“ unterschrieb, das er gar nicht gelesen hatte. Danach soll er an einer Schießerei mit der Polizei beteiligt gewesen sein. Neun Monate später ist Carvalheiro noch immer in Haft. Die Folterer blieben bislang unbehelligt. Paula Gil ist von der Unschuld ihres Mannes überzeugt: „Ich werde das durchziehen“, sagt sie. Hilfe bekommt sie von der „Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter“ und von amnesty international.

Carvalheiros Drama ist kein Einzelfall – das belegt ein neuer Amnesty-Bericht. Am Donnerstag wurde der Report (http://web.amnesty.org/ai.nsf/Index/AMR190222001) in São Paulo vorgestellt. Trotz eines Anti-Folter-Gesetzes von 1997 habe sich die Lage nicht gebessert, sagte Esteban Beltrán, Chef der spanischen ai-Sektion. Die Straflosigkeit, so sein Kollege Tim Cahill vom ai-Sekretariat in London, sei das „Hauptproblem des brasilianischen Strafjustizsystems“.

Das Profil der Folteropfer habe sich gewandelt, sagte Cahill. Während der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 waren vor allem politische AktivistInnen aus der weißen Mittelschicht im Visier. Heute sind es arme Schwarze ohne Lobby, die auf Polizeistationen und in Haftanstalten misshandelt und manchmal sogar umgebracht werden.

Mit der Wirtschaftskrise der Achtziger- und Neunzigerjahre, so die Amnesty-Analyse, hätte sich die die sozialen Gegensätze in Brasilien verschärft. Der Drogenhandel sei ein weiterer Faktor für den Anstieg von Gewaltverbrechen. Zusätzlich werde die Angst der Bevölkerung durch Medienberichte geschürt. All dies erhöhe den Druck auf das überlastete Polizei- und Justizsystem. Doch Grausamkeiten gegen vermeintliche oder tatsächliche Kriminelle seien der falsche Weg, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

Brasiliens Regierung stelle sich zwar verbal der internationalen Kritik. Doch für die europäischen Regierungen sei die Folter in Brasilien kein Thema, kritisierte Beltrán, obwohl seit Juni detaillierte EU-Richtlinien vorliegen, wie Druck auf Folterstaaten ausgeübt werden könne.

„Jetzt müssen das Polizeiwesen und das Justizsystem gründlich reformiert werden“, forderte Tim Cahill. Bis dahin ist es ein langer Weg. Für Gilberto Saboia, Staatssekretär im Justizministerium, sind die Vorwürfe „ungerecht“. Von systematischer Folter könne nicht die Rede sein. Den Schwarzen Peter schob er den 27 Bundesstaaten zu, die für das Gefängniswesen zuständig sind. Immerhin startet die Bundesregierung am 30. Oktober ihre eigene Anti-Folter-Kampagne. Für Beschwerden wird eine Rufnummer eingerichtet. GERHARD DILGER

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