Schmidts Pflänzchen zertrampelt

Ulla Schmidts Sparpaket zur Eindämmung der Kassenausgaben stößt auf Widerstand. Opposition fürchtet, dass bei der Verschreibung von Wirkstoffen statt Präparaten Patienten verunsichert würden, und wirft der Ministerin „Kurpfuscherei“ vor

von ULRIKE WINKELMANN

„Gesundheitspolitiker werden an der Erhöhung der Krankenkassenbeiträge gemessen“, stellte die PDS-Bundestagsabgeordnete Ruth Fuchs gestern fest. Damit erklärte Fuchs schlüssig, warum das jüngste Gewächs aus dem Hause von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), das geplante Arzneimittelausgabenbegrenzungsgesetz, gestern schon bei seiner ersten Lesung im Bundestag für gewisse Erregung sorgte. „Kurpfuscherei“, betreibe die Ministerin, rief ihr die Ärztin und CDU-Abgeordnete Sabine Bergmann-Pohl zu, „Sie verstehen gar nichts von der Sache!“

Denn die Krankenkassen haben Alarm geschlagen: Die Kosten für Medikamente sind im ersten Halbjahr 2001 derart gestiegen, dass die gesetzlichen Kassen zum Ende des Jahres ein Defizit von bis zu 4 Milliarden Mark befürchten. So viel Geld, dies gab auch die Ministerin unlängst zu, sei nur durch eine Erhöhung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung wieder hereinzuholen.

Um diese jedoch wenigstens auf einen Null-Komma-Prozentbetrag zu beschränken, sieht Schmidt vor, dass Ärzte in Zukunft nur mehr einen Wirkstoff und nicht mehr das Medikament verschreiben. Den Apothekern obliegt es dann, ein preisgünstiges Mittel herauszugeben. „Aut-idem“ (Lateinisch für „oder das Gleiche“) heißt diese Regelung, praktiziert wird sie bereits in vielen europäischen Ländern.

Gleichzeitig wird die Pharmaindustrie zu einem Solidaritätsbeitrag verdonnert: Sie soll bestimmte Medikamente um vier Prozent billiger verkaufen. Durch diese beiden und ein paar flankierende Maßnahmen will Schmidt 2 bis 3 Milliarden Mark sparen. Die Kassen rechnen dabei allerdings eher mit 1 Milliarde Mark.

Die Aut-idem-Regelung ist eine Reaktion darauf, dass der Anstieg der Kassenausgaben vor allem der Verschreibungsfreude der Ärzte geschuldet ist, die dabei zu den neuen, sehr teuren Medikamenten greifen, selbst wenn sie gleiche Wirkstoffe wie schon bekannte Mittel enthalten. Dass hier nicht nur medizinische Aspekte eine Rolle spielen, machte Schmidts Parteikollegin Regina Schmidt-Zadel gestern deutlich: „Die Pharmaindustrie gibt für Forschung und Entwicklung 18 Prozent ihres Umsatzes aus“, erklärte sie, „aber 29 Prozent für Marketing und Vertrieb.“ Einen Zusammenhang zwischen der seit Jahresbeginn stark gewachsenen Verschreibungsbegeisterung der Ärzte und dem Umstand, dass Ulla Schmidt die Budgetierung der Arztausgaben durch ihre grüne Vorgängerin Andrea Fischer wieder abgeschafft hat, mag man bei der SPD allerdings bis heute nicht erkennen. Bei der CDU sehr wohl: „SPD und Grüne schaffen Misstände, um deren Abschaffung als Erfolg zu verkaufen“, sagte der CDU-Abgeordnete Wolf Bauer. Die Union wirft Rot-Grün vor, kein schlüssiges Gesamtkonzept vorzulegen, sondern nur „am Gesundheitssystem herumzudoktern“. Durch die Aut-idem-Regelung würden die Patienten verunsichert und die Therapiefreiheit der Ärzte eingeschränkt. Außerdem sei unklar, wer bei Falschbehandlung haften solle.

Auf Sparmöglichkeiten haben in den vergangenen Tagen auch unabhängige Experten hingewiesen. In ihrem „Arzneiverordnungs-Report“ rügen Ulrich Schwabe und Dieter Paffrath, dass durch Arzneimittelrichtlinien, Festbeträge und eine Positivliste ein Fünftel der Ausgaben einsparbar wären. Der Bremer Pharmakologe Gerd Glaeske beklagt, dass es in Deutschland keine organisierte, unabhängige Auswertung der Wirksamkeit von Medikamenten gibt: „In Deutschland liegt das Informationsmonopol über Medikamente bei der Pharmaindustrie.“