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Das Schachspiel der Securitate

Ehebruch, Misstrauen, Denunziation: In seinem Detektivroman „Miss Bukarest“ schreibt der Schriftsteller Richard Wagner über das lang wirkende und emotional zersetzende Gift des rumänischen Geheimdienstes – und wie die Vergangenheit die Emigranten in Deutschland nach Jahren einholt

von ANITA KUGLER

„Ehebruch. Damit fing es an.“ Dinu, der heute Schullerus heißt und früher Matache hieß, soll recherchieren, mit wem Erika fremdgeht. Eine banale Geschichte, eine Kleinigkeit für den Privatdetektiv in Berlin. Früher hat er ganz andere Sachen gemacht – früher, als er in Bukarest für die Securitate spionierte. Als er im Dienste von Ceaușescu die Rumäniendeutschen im Blick hatte. Damals war Bettgeflüster noch von Staatsinteresse. Damit konnte man Ausreisewillige unter Druck setzen. Oder sie auch aus dem Land treiben. Wegen der Devisen, die die BRD pro Kopf zahlte.

Auch Erikas Liebesleben mit dem Schriftsteller Richartz ließ sich gut ausnutzen. Und Erikas Liebesleben mit ihm, mit dem Rumänen Dinu Matache, der heute Schullerus heißt und ein Deutscher geworden ist, interessierte ebenfalls. Vor allem seinen Chef, den Obristen Onesco. Das war früher. Vor hundert Jahren. 1978 oder so in Bukarest. Heute schläft Erika mit Onesco. Mit ihm geht sie ins Bett, in einem Reihenhaus in Lichterfelde 1999. Schwamm drüber! Die Vergangenheit soll Vergangenheit bleiben.

Aber dann wird Erikas Leiche gefunden, und der Detektiv, der so cool tut und sich im neuen Leben den Mickey-Spillane-Minimalismus-Stil angeeignet hat, soll für seinen „Kumpel“ von der Polizei den Tod aufklären. War es ein Unfall? War es ein Mord? Und wer könnte davon profitiert haben, dass Erika, die Schöne mit dem weiten Herzen, die Miss Bukarest der intellektuellen Aussiedlerszene, heute eine Wasserleiche ist?

Die Vergangenheit wird zur Gegenwart, und Dinu, dem die Securitate in den Kopf, in die Seele eingewachsen ist, lässt die Erinnerungen zu an diese Jahre in Rumänien, in denen nichts so gewesen war, wie es schien, und in denen, wie Dinu erfahren muss, wie beim Schachspiel die Dame geopfert wurde, weil man den König retten wollte.

„Die Macht der Geheimdienste besteht im Zerstören der Gefühle, auch in ihrem rückwirkenden Zerstören. Diese Macht ist ewig“, lässt Richard Wagner einen seiner drei Ich-Erzähler, den früheren Liebhaber von Erika, den ebenfalls nach Berlin ausgereisten Schriftsteller Richartz, sagen. Es ist ein Kernsatz in dem schmalen Roman und ist zugleich das schwere Gepäck, das rumäniendeutsche Autoren wie er oder seine auch aus dem Banat stammende Schriftstellerkollegin Hertha Müller ihr Leben lang nicht abschütteln können. In immer neuen Variationen umkreisen sie in ihren Büchern den Mahlstrom Securitate, der sie, obwohl er längst nicht mehr kreist, noch immer in die Tiefe zieht.

Richard Wagners Hauptperson, der Detektiv Dinu, will sich nicht mit dem Tod von Erika beschäftigen, weil er sich dann an sein Leben in Rumänien erinnern müsste – an ein Leben, in dem er Erika nicht nur ausgehorcht, sondern auch ehebrecherisch geliebt hat, ein schizophrenes Leben, das er von sich abwaschen wollte, um ein neues und eindeutiges in Berlin beginnen zu können. Aber der Dreck sitzt in allen Poren, lässt sich nicht einfach abspülen, sondern muss mit dem Messer Schicht für Schicht abgekratzt werden. Dinus Messer ist sein Tagebuch. Wie früher seine Treff-Berichte für die Securitate, beginnt er seine Erkenntnisse aufzuschreiben, diesmal für sich. Am Ende ist seine Seele wund, das Tagebuch im Heute angekommen und Dinu – wie damals – zu einem Ermittler geworden. Anonym schickt er die vielen Seiten an seinen früheren Freund, an den Schriftsteller Richartz, den er in Bukarest ebenfalls observiert hatte. Dieser ist ein Grübler und Analytiker, der coolen Jazz liebt und eine Freundin hat, die seine Essays über die Diktatur und Südosteuropa nicht lesen will. Was ihn beruhigt, weil er meint, durch sie zu einem „leidenschaftslosen Beobachter des Osten“ geworden zu sein.

Richartz wird zum zweiten Ich-Erzähler in dieser Geschichte. Der dritte wird Dinus Sohn Christian, der von dem ganzen „Rumänienscheiß“ und dem „Aussiedlerkram“ die Nase voll hat. Gefiltert durch ihren Blick zurück und durch ihre Lebenslage heute, erfahren wir von Dinus Suche nach dem Mörder und über den Showdown in einer Platte in Hellersdorf. Beide verlieren ihre mühsam angeeignete Distanz zu dem, was vorbei und vergessen sein sollte. Bitter notiert Richartz: „Alle haben allen misstraut. Es war ein schleichendes Gift. Diese ewige Angst vor der Denunziation, das ständige Überlegen, was sage ich in Anwesenheit von X und was sage ich in Anwesenheit von X nicht. Wir sind Gescheiterte. Als wir unser Elend erkannten, sind wir geflohen. In die wahre Welt, wie wir dachten. Jetzt sind wir Emigranten, Menschen ohne Territorium.“

Und Christian, der Sohn, der Schriftsteller werden wollte, es aber nur bis zum Aufschreiben seiner Träume gebracht hat, kapituliert vor der Realität. Er schickt das Manuskript an den zurück, von dem er es bekommen zu haben glaubt, an Richartz. „Er ist der Schriftsteller. Er ist zuständig. Mal sehen, ob er seiner Balkan-Analyse gerecht wird, wenn es sich um das eigene Leben handelt. Wenn es ans Eingemachte geht. Wenn die Strafe aus dem eigenen Kopf droht. So long, Dissident.“

Es ist ein aufregendes Buch geworden, das Richard Wagner vorgelegt hat, spannend zu lesen wie ein Krimi, was er ja auch tatsächlich ist, und gleichzeitig komplex und verwirrend komponiert – dem entsprechend, wie es vielleicht gewesen war, damals in Rumänien, aber auch in jeder anderen Geheimdienstdiktatur in Systemen, in denen jeder Freund zum Verräter werden kann oder es vielleicht schon ist. Alles ist möglich, alles dient irgendeinem Zweck, auch die Verräter sind nicht immer nur Schurken, und die Verratenen nicht immer die Engel. Jeder hat das Gift des Misstrauens geschluckt, ist vergiftet worden, ist bis heute davon gezeichnet. Das ist die Botschaft in Richard Wagners großartigem Roman, der sich nur eine einzige Sentimentalität erlaubt. Erika, die Schöne, die Miss Bukarest, die ihren Körper vielen schenkt, bleibt eine Heilige. Hätte sie nicht ein wenig zur Hure werden können?

Richard Wagner: „Miss Bukarest“. Aufbau-Verlag, Berlin 2001, 190 Seiten, 32,90 DM

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