: Luftangriffe an der Frontlinie
US-Flugzeuge beschießen Positionen der Nordallianz. Pentagon dementiert Hubschrauber-Abschuss durch die Taliban. US-Generalstabschef erwartet Afghanistan-Krieg bis in das nächste Jahr hinein
von ERIC CHAUVISTRÉ
Die US-Luftwaffe hat gestern offenbar versehentlich Stellungen der oppositionellen Nordallianz bombardiert. Kampfjets hätten mehrere Bomben auf Positionen 45 Kilometer nördlich der Stadt Kabul abgeworfen, berichteten vor Ort anwesende Pressefotografen. Amerikanische Medien hatten zuvor gemeldet, die US-Streitkräfte würden nun verstärkt gegen Stellungen der Taliban nördlich von Kabul angreifen, um die Nordallianz zu unterstützen.
Angeblich sind dazu in der nordafghanischen Stadt Masur-i-Scharif auch US-Militärberater im Einsatz, um die Luftangriffe mit den dortigen Milizen zu koordinieren. Offenbar ist das Pentagon daran interessiert, die Stadt nach der Einnahme durch die Nordallianz als Stützpunkt für Hubschraubereinsätze zu nutzen. Bei den Luftangriffen soll nach Taliban-Angaben gestern ein Krankenhaus in der west-afghanischen Stadt Herat getroffen worden sein. Dabei habe es hundert Tote gegeben, sagte der Taliban-Botschafter in Pakistan, Abdul Salam Saif, gestern in Islamabad.
Saif wiederholte auch die Behauptung des Taliban-Regimes, einen US-Hubschrauber sei abgeschossen worden. Zuvor hatten Taliban-Milizen dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira Wrackteile eines angeblich in der Nähe der südost-afghanischen Stadt Kandahar getroffenen US-Hubschraubers gezeigt.
Die Aufnahmen zeigen unter anderem eine Detailansicht, bei der die Worte „Boeing“ und die Typenkennung „CH-47“ zu erkennen sind (siehe Foto rechts). Die CH-47 ist einer der größten Transporthubschrauber der US-Streitkräfte. Ein Pentagon-Sprecher bezichtigte die Taliban der „Lüge“. „Die Behauptungen, dass sie einen Helicopter abgeschossen haben, sind falsch“, sagte Generalstabschef Richard Myers.
Aufgrund des deutlichen Dementis aus dem Pentagon, gibt es nach Ansicht von US-Militärexperten vor allem zwei Erklärungen für die sich widersprechenden Behauptungen. Entweder die Wrackteile stammen tatsächlich von einem in den letzten Tagen abgestürzten US-Hubschrauber. Dann könnte es sich auch um einen Unfall gehandelt haben, alle Insassen wurden anschließend offenbar aus dem Kampfgebiet gebracht. Denn hätte es Tote in der Nähe des Wracks gegeben, würden die Taliban diese sicher der Presse präsentieren. Die andere wahrscheinliche Option ist die, dass die gezeigten Teile von einem abgestürzten oder abgeschossenen CIA-Hubschrauber aus dem Krieg gegen die Armee der Sowjetunion in den 80-er Jahren stammen.
Nach dem ersten offiziell bestätigten Einsatz von US-Spezialkommandos, deutet nun auch die britische Regierung die bevorstehende Entsendung eigener Einheiten nach Afghanistan an. „Wir haben immer gesagt, dass Bodentruppen eine der Option sind“, sagte Verteidigungsminister Geoff Hoon am Montag in London. Einen Zeitpunkt wollte Hoon aber nicht nennen. „Wir haben noch keine konkreten Entscheidungen getroffen“, sagte der Minister. Die öffentliche Ankündigung eines Einsatzes wäre keine Überraschung. Beobachter vermuten, dass kleine Einheiten des britischen „Special Air Service“ (SAS) seit langem in Afghanistan im Einsatz sind.
Die Andeutung aus London ist ein weiterer Hinweis darauf, dass mit einem längeren Krieg zu rechnen ist. Auch US-Generalstabschef Myers verwies in einem Interview mit dem US-Fernsehsender ABC erneut darauf, dass der Krieg „eine sehr, sehr lange Kampagne“ werden könne. „Es kann bis zum nächsten Frühjahr dauern. Es kann bis zum nächsten Sommer dauern. Es kann auch noch länger dauern.“
US-Außenminister Colin Powell hatte zuvor die Hoffung auf ein baldiges Ende des Krieges ausgedrückt. „Ich denke es wäre in unserem Interesse und im Interesse der Koalition, diese Sache zu beenden, bevor der Winter beginnt.“ Die Äußerungen von Myers machen deutlich, dass die Erklärung Powells nicht als Indiz für ein Kriegsende innerhalb weniger Wochen interpretiert werden können.
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