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barbara dribbusch über Gerüchte„Erdbeermarmelade ist doch lecker!“

Wenn die Info-Elite frühstückt: Statt über Aktien tauscht man jetzt sein Unwissen über Wahhabismus aus

Wenn Sie die Augen schließen und an Ihre Kindheit denken, dann fällt sie Ihnen wieder ein: Ihre ganz persönliche Schulbrötchenfantasie. Meine ging damals so: Meine angebissenen Schulbrötchen und die meiner Freundinnen werden gesammelt, Tag für Tag, und mit einem schnellen Flugzeug nach Afrika geflogen. Dort landet das Flugzeug mitten in der Wüste und jemand verteilt unsere Käse- und Leberwurstbrötchen an die schwarzen Kinder mit den großen Augen, die uns von den Plakaten von „Brot für die Welt“ so bettelnd anblickten.

Wenn ich mir abends im Bett eine solche Hilfsaktion vorstellte, durchströmte mich ein wohliges Gefühl: Ja, so würden die Welt und auch ich besser werden. Komisch, dass die Erwachsenen noch nicht drauf gekommen waren.

Einige Jahrzehnte später. Ein Sonntagsfrühstück in einem Akademikerhaushalt mit Kindern, Eltern und Freunden. „Erdnussbutter!“, empört sich jemand, „die schmeißen Erdnussbutter herunter. Das kann doch ein unterernährter Körper gar nicht resorbieren.“ „Erdnussbutter enthält viel Fett, das ist schon mal nicht verkehrt für Hungernde“, meint der Freund im Tonfall des Experten. Er ist schließlich Arzt, und wir befinden uns in einem Fachgespräch: Auf dem Tisch liegt ein Zeitungsfoto mit einer Auflistung des Inhalts der Hilfspakete, die US-amerikanische Flugzeuge über Afghanistan abwerfen. „Wildreis“, liest jemand von einer Packung ab, „Wildreis?! Ist das bei uns nicht eine Delikatesse?“

Niemand redet mehr über neue Technologien oder Aktienkurse wie noch vor einem Jahr. Stattdessen wird mühsam Viertelwissen über die Lebensbedingungen in Afghanistan, den Islam in seinen vielen Ausprägungen und die Bedeutung des heiligen Krieges zusammengetragen. Wir sind von der Wissens- in die Unwissenheitsgesellschaft abgestürzt, und das ist peinlich. Wer kann schon den wichtigen Unterschied zwischen Wahhabiten, Schiiten und der pälastinensischen Befreiungsbewegung erklären?

„Auf jeden Fall sind die islamischen Staaten rückständig“, fasst jemand zusammen, „keine Trennung von Staat und Religion, Unterdrückung der Frauen, das ist zu verurteilen. Alles andere ist pseudotolerantes Blabla.“

„Kräcker“, meldet sich die Tochter zu Wort, „Kräcker sind ganz in Ordnung, essen wir doch auch.“ Die Kinder sind fasziniert vom Zeitungsfoto mit der Essensration. Die kleinen Päckchen, in denen auch Marmelade und Zucker eingeschweißt sind, sehen aus wie die Tütchen damals auf dem Frühstücksbüfett im Urlaubshotel. Die Tochter stört nur, dass die Flugzeuge die Pakete von oben abwerfen, „die können doch den Leuten auf den Kopf fallen“. „Ja, es ist eine Erniedrigung“, sagt einer der Erwachsenen.

„Mit Bewertungen muss man vorsichtig sein“, mahnt einer am Tisch, „diese westliche Haltung gegenüber dem Islam, so von oben herab, ist doch ein Teil des Problems.“ – „Die Attentäter haben mit dem richtigen Islam sowieso nichts zu tun. Das waren durchgeknallte saudi-arabische Mittelschichtsabkömmlinge“, ergänzt jemand. Tja, wir lesen die gleichen Zeitungen, neuerdings wieder mehr die Auslandsberichterstattung und etwas weniger ausführlich die Wirtschaftsteile.

Und dann hat jeder natürlich schon mal was Persönliches erlebt. Mir fällt Sybel ein, eine junge muslimische Tagesmutter. Sybel trug Kopftuch und schleppte phasenweise sogar ihren Gebetsteppich mit zur Arbeit. Zweimal habe ich sie zur Ersten-Hilfe-Station in Berlin-Kreuzberg gefahren. Ihr Mann Bekir hatte sie geschlagen. Eine Ärztin dokumentierte die blauen Flecken, damit Sybel im Falle einer Scheidung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht in Deutschland erlangen könnte. Sybel hat sich nicht scheiden lassen. Mit ihrer Familie ist sie unbekannt verzogen. Die Begegnung mit ihr hat ein paar Klischees in meinen Kopf hinterlassen. Was soll man auch machen, wenn die Gegenbeweise fehlen?

„Denen nützen die Nahrungspakete doch gar nichts“, geht es weiter am Tisch, „das sind doch große Familien, da gibt es doch nur Streit, wenn ein Kind so ein Päckchen mit nach Hause schleppt. Hat doch niemand was davon.“ „Dann müssen sie eben lernen, zu teilen“, meint jemand.

„Bohnen“, liest eine vor, „Lebensmittelgeschenk der Bevölkerung der Vereinigten Staaten, 580 Kalorien. Klingt wie Brigitte-Diät.“ Auf der Packung mit den Bohnen sind eine Gabel und ein Messer abgebildet, ein Dokument aus der zivilisierten Welt an Außerirdische, damit die auch wissen, wie es in der Zivilisation so zugeht.

Die Tochter hat ihr Nutellabrötchen verzehrt, den Zeitungsartikel über die Hilfspäckchen zu Ende gelesen und sich die Tütchen auf dem Foto genau angeschaut. Sie würde sich freuen über so ein Paket, sagt sie. Schließlich hätten die Kinder in Afghanistan doch nichts zu essen. „Erdbeermarmelade ist doch lecker.“ Als ich klein war, hatte ich in meinen Träumen nur angebissene Käsebrötchen im Angebot. BARBARA DRIBBUSCH

Fragen zu Gerüchten? kolumne@taz.de

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