: USA beschließen Otto-Katalog
Was sich der Berliner Innenminister Schily wünscht, hat der Kongress in Washington schon beschlossen: Mehr Überwachung, weniger Rechtsstaat
von ULRIKE WINKELMANN
Jetzt haben auch die USA ihr Sicherheitspaket: Mit 356 zu 66 Stimmen hat das US-Repräsentantenhaus am Mittwoch ein Bündel von Anti-Terror-Gesetzen gebilligt. Gestern noch sollte es durch den Senat gehen, sodass es heute von Präsident George W. Bush unterzeichnet werden und in Kraft treten kann. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses des Parlaments, F. James Sensenbrenner, nannte diesen rasanten Akt der Gesetzgebung „die dramatischste Modernisierung von Strafverfolgungs- und Polizeikräften, die der Kongress je verabschiedet hat“.
Das Maßnahmenbündel sieht unter anderem vor, dass Geheimdienste und Ermittlungsbehörden jeglichen Telefon- und elektronischen Datenverkehr überwachen und die Daten untereinander austauschen können. Auch heimliche Wohnungs- und Bürodurchsuchungen sind jetzt legal. Die unabhängige richterliche Kontrolle wird stark zurückgedrängt. Gegen den heftigen Widerstand des Justizministeriums unter John D. Ashcroft bestand das Repräsentantenhaus allerdings darauf, dass über Schlüsselbestimmungen in vier Jahren erneut abgestimmt werden muss.
Den US-Bürgerrechtlern bleibt angesichts der Geschwindigkeit des Verfahrens und der Masse der anstehenden Änderungen nur noch darauf hinweisen, dass die Gesetze in Zukunft zu weit mehr herangezogen werden dürften als zur Bekämpfung des Terrorismus.
Darin gleicht die Debatte in den USA jener Diskussion aufs Haar, die in Deutschland um das „Sicherheitspaket II“ von Innenminister Otto Schily (SPD) geführt wird. Hier wie dort gehen Bürgerrechtsorganisationen davon aus, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung ausländischer Terroristen binnen kurzem vor allem Immigranten und Flüchtlingen das Leben schwer machen. Zweitens befürchten die Kritiker, dass durch erweiterte und unkontrollierte Ermittlungsbefugnisse wie die Kommunikationsüberwachung in Grund- und Menschenrechte aller Bürger eingegriffen wird.
Die Debatten um den Datenschutz dagegen laufen in den USA und Großbritannien unter gänzlich anderen Vorzeichen als in Deutschland. Aus bürgerrechtlicher Tradition ist es weder in den USA noch in Großbritannien denkbar, Meldebehörden, Personalausweise oder ähnliche Maßnahmen zur Identifikation aller Bürger einzuführen. Obwohl in London schon mehrfach ventiliert, wurde auch der jüngste Vorstoß zur Einführung von Personalausweisen wieder fallen gelassen. Innenpolitisch nicht durchsetzbar, hieß es. Das britische Anti-Terror-Paket, das Ende kommender Woche vorgelegt wird, befasst sich daher vornehmlich mit der Abschiebung von terrorismusverdächtigen Nichtbriten.
Die Privatwirtschaft allerdings unterliegt in den USA und Großbritannien keinerlei Beschränkungen bei der Weitergabe persönlicher Daten. „Meine Kreditkartenfirma weiß mehr über mich, als meine Mutter je gewusst hat“, schrieb am Dienstag ein Kolumnist der Washington Post. Er forderte Personaldokumente mit Fingerabdrücken und allem technischen Tingeltangel – um die Datensammelei staatlich zu zentralisieren. Nur so, meinte er, sei Kontrolle über die Verbreitung persönlicher Daten möglich.
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